Wiederaufbau im Ruhrgebiet

Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg war eng mit der Wiederauferstehung von Bergbau und Stahlindustrie verbunden. Er kann in zwei Abschnitte unterteilt werden. Eine erste Phase von 1945 bis 1948 und eine weitere bis 1957.
Wiederaufbau
Quelle: Stadtarchiv Gelsenkirchen
Die Jahre zwischen 1945 und 1948 standen ganz unter dem Eindruck der gewaltigen Zerstörungen, des Hungers, der Wohnungsnot und dann der ersten zögernden Schritte in eine neue Zukunft. Die Unsicherheit wurde von der Demontage, der Entflechtung der kartellartigen Konzerne, den aufgezwungenen Produktionsbeschränkungen, einer galoppierenden Inflation und dem allgemeinen wirtschaftlichen Chaos verstärkt. Danach folgten die zehn Jahre des eigentlichen Aufschwungs. Die Ruhrgebietsbevölkerung und die industrielle Produktion expandierten. Seit dem Tiefpunkt im Jahre 1945 hatte sich die Produktion bis zum Jahr 1955 mindestens vervierfacht. Innerhalb dieser zehn Jahre entwickelte sich in Deutschland eine moderne Industriegesellschaft, die ungeahnten Wohlstand hervorbrachte. Treffend setzte sich hierfür der Begriff "Wirtschaftswunder" durch. Als im Jahre 1955 die letzten Kriegsheimkehrer aus sowjetischer Gefangenschaft entlassen wurden, kehrten sie in ein völlig neues Land zurück.
Am schnellsten erholte sich der Ruhrbergbau von den Folgen des Krieges. Mit 33,4 Mio. t erreichte die Förderung 1945 nur den Stand der 1860er Jahre. Alle oberirdischen Anlagen, wie Kokereien, Brikettfabriken und Förderanlagen waren schwer beschädigt. Unter Tage hingegen hielten sich die Zerstörungen im Rahmen. So konnte zum Beispiel auf Consolidation 3/4/9 in Gelsenkirchen schon 1945 der Betrieb wieder aufgenommen werden. In ganz Europa herrschte nach extrem kalten Wintern Kohlenmangel. In dieser Situation kam dem Bergbau eine Schlüsselstellung im westlichen Wiederaufbau zu. Beschränkungen wie in der Stahlindustrie gab es deshalb nicht.
Bergmann bei der Gewinnung von Hand mit einem Abbauhammer
Quelle: Deutsches Bergbau-Museum/Montanhistorisches Dokumentationszentrum
Die Stahlindustrie hingegen konnte nicht so schnell zum "business as usual" übergehen. Lange Zeit schwebte die Unsicherheit der Demontage über den Unternehmen. Die Londoner Sechsmächtekonferenz von Februar bis Juni 1948, an der erstmals nach dem Krieg auch Vertreter der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs teilnahmen, beschloss, die drei Westzonen in das europäische Wiederaufbauprogramm, den Marshall-Plan, einzubeziehen und eine Währungsreform, auf den Weg zu bringen, um der fortschreitenden Inflation Herr zu werden. Die Ressourcen des Ruhrgebietes sollten für den Wiederaufbau Westeuropas insgesamt nutzbar gemacht werden.
Danach konnte sich auch die Stahlindustrie allmählich erholen, zumal der Korea-Krieg (1950 - 1953) die Nachfrage nach Stahlerzeugnissen steigen ließ. Bis zum Anfang der 1960er Jahre sollte die Stahlindustrie der Wirtschaftsmotor im Ruhrgebiet und in Deutschland bleiben. Die Produktion von Rohstahlblöcken hatte 1964 einen Stand, der den von 1938 um 70 % übertraf. So wurde die Montanindustrie recht schnell wieder zum tragenden Wirtschaftspfeiler des Ruhrgebietes und ganz Deutschlands. Bereits im Jahr 1957 erreichte die Arbeitsplatzentwicklung ihren Höhepunkt. Mit 994.000 Beschäftigten in den traditionellen Produktionsbereichen lief die Wirtschaft an der Ruhr wieder auf Hochtouren. Auch wenn sich der Wiederaufbau-Boom ab 1964 langsam wieder abschwächte, rangierte das Ruhrgebiet - gemessen am Durchschnittsverdienst - im deutschen Vergleich bis in die 1970er Jahre hinein auf einer Spitzenposition.