Das ausgehende 19. Jahrhundert

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das Ruhrgebiet in rasantem Tempo zu einem der führenden Wirtschafts- und Industriezentren Europas. Zwischen 1850 und 1870 versechsfachte sich die Kohleförderung von 1,9 Mio. t Kohle auf 11,9 Mio. t und nahm bis 1900 auf 60 Mio. t zu.

Auch in der Eisen- und Stahlindustrie ließ sich ein beeindruckendes Wachstum beobachten. "Von 11.500 t (1850) stieg die Produktion auf 306.800 t (1870). Bis 1900 wuchs sie um mehr als das Zehnfache auf 3.270.400 t" (Schlieper 1986, S. 81).

Vordergründig hat hier eine einzigartige und vielversprechende Entwicklung begonnen. Die Zahlen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine sog. Gründerkrise bereits im Jahr 1873 nachhaltige Spuren in der Ökonomie hinterließ.
Bau der ersten Lokomotive der Firma Krupp, 1919
Quelle: Historisches Archiv Krupp
Was war der Auslöser? Nach dem Sieg über Frankreich 1871 hatte Preußen bzw. das nachfolgende Deutsche Reich Reparationszahlungen in Höhe von 5 Milliarden Goldfranken erhalten. Mit diesem Vermögen tilgte man die Staatsschulden und setzte so das Kapital der Bürger aus Staats- und Kriegsanleihen frei. In der Folge profitierte vor allem die Stahlindustrie von einem wahren Investitionsboom, der nach den Worten Schliepers (1986, S. 85) in einer fast klassisch zu nennenden "Überinvestitionskrise" mündete.

Die Eisenerzeuger sahen sich mit den stark angestiegenen Hochofenkapazitäten überraschend einer sinkenden Nachfrage angesichts der allgemeinen Wirtschaftskrise konfrontiert. In der Phase des ungehemmten Auf- und Ausbaus der industriellen Kapazitäten ließ die Regierung zudem die Schutzzölle für Roheisen und Stahlerzeugnisse fallen und setzte die deutsche Industrie damit einem harten internationalen Wettbewerb aus.

Die Krise erschütterte die deutsche Wirtschaft in ihren Grundfesten: "Die Stahlproduktion nahm innerhalb eines Jahres von 1873 auf 1874 in Deutschland um 15 und im Ruhrgebiet um 13 Prozent ab, vor allem aber sank die Stimmung unter den Unternehmern und Bankiers auf den Nullpunkt - zu sehr war ihre Wachstumsmentalität ins Wanken geraten und zum ersten mal wurde deutlich, dass der wirtschaftliche Fortschritt, der die letzten Jahre beherrscht hatte, nicht bis ins Unendliche würde weitergehen können" (Schlieper 1986, S. 86).
Allmächtiger Hüttenbesitzer
(Paul Reusch)
Karikatur im Ruhreisenstreit 1928

Quelle: LVR-Industriemuseum
Die Folgen der Krise waren unübersehbar. Um dem ruinösen Wettbewerb zu entgehen, schlossen sich die Unternehmen in Kartellen, Syndikaten und Trusts zusammen. Mit gemeinsamen Preisabsprachen wollte man planbare Gewinnmitnahmen erreichen und die internationale Konkurrenzfähigkeit sicherstellen. Es blieb aber nicht allein bei der Monopolisierung in der Kohle- und Stahlindustrie. Die Unternehmen formten sich durch Zukauf fremder Firmen schrittweise in große Konzerne um (Gaigalat/Schaier 1997b, S. 132). Ein Beispiel für einen solchen Konzern ist die Gutehoffnunghütte (GHH). Der Unternehmer Paul Reusch baute einen Konzern auf, der um 1900 "über eine geschlossene Produktionskette von den Rohstoffen bis zu den Fertigprodukten verfügte" (Gaigalat/Schaier 1997b, S. 133). Man stellte nicht nur Roheisen und Stahl her, sondern baute ab 1857 in der konzerneigenen Zeche Oberhausen auch den erforderlichen Brennstoff ab. Den Hochöfen gliederte man Gießereien und Walzwerke an und konnte die Endprodukte, wie zum Beispiel Brücken und Maschinen, im eigenen Konzern fertigen.
Im Ringen um wirtschaftliche und politische Macht traten in dieser Phase der Kartellisierung und Monopolisierung im Ruhrgebiet auch noch die Banken an die Seite der Unternehmen, um sich langfristige Renditen und Dividenden zu sichern. Derart erstarkt und ausgestattet mit beispielloser wirtschaftlicher Macht ließen die Industriellen die Muskeln spielen und setzten im Jahr 1879 gegen die Überzeugung des Wirtschaftsministers die Wiedereinführung der Schutzzölle durch. So war das ausgehende 19. Jahrhundert von Monopolbildung geprägt. Die obenstehende Karikatur zeigt dazu den Hüttenbesitzer Paul Reusch. Dazu entstand der Untertitel: "Alle Räder stehen still, wenn mein starker Arm es will!".

Es waren nun aber auch die Unternehmen der "zweiten Gründerphase" voll entfaltet: Thyssen ab 1871, Hoesch ebenfalls ab 1871, der Schalker Verein ab 1872 und die Mannesmannröhren-Werke um 1887. Das Ruhrgebiet war in seinen Grundstrukturen geprägt, die es bis zum Ende der 1980er Jahre bewahren sollte.