Kommunalegoismus (Kirchturmdenken)

Gerade die Flügelstädte des Ruhrgebietes lassen nicht nur ein klares Votum für das Ruhrgebiet vermissen, sie üben sich auch in ihrer Selbstdefinition und Stadtwerbung in mentalen Absetzbewegungen: Dortmund versteht sich als "Metropole Westfalens", Duisburg als "Zentrum des Niederrheins", Hagen als "Tor zum Sauerland" und der Ennepe-Ruhr-Kreis fühlt sich eher dem märkischen Sauerland zugehörig (Blotevogel 2001, S. 21).
Quelle: RVR Fotoarchiv (Ehrich)
Diese autozentrierten Wahrnehmungs-, Entscheidungs- und Handlungsmuster der Kommunen sind auf mehrere Ursachen zurückzuführen:

Da spricht zunächst das grundgesetzlich verbriefte Subsidiaritätsprinzip das Recht der Planungshoheit der Kommune zu.

Dann lassen die Gewerbesteuern und Schlüsselzuweisungen im Zeichen leerer Kassen den Kampf um Betriebe und Einwohner überlebenswichtig werden.

An diesen Erfolgen müssen sich zudem die Kommunalpolitiker messen lassen. Von ihnen sind u.a. die Kommunalwahlen, ist das Überleben der Politiker abhängig.

Eine nicht unwesentliche Ursache dürfte auch in den (Nach-)Wirkungen des regionalen Negativ-Images zu finden sein.

Schließlich spielt auch die oft erst sehr kurze "Biografie" vieler Ruhrgebietsstädte eine wichtige Rolle: sind sie doch erst vor zwei bis drei Generationen zur Stadt geworden und als solche noch nicht einmal ausgereift: Ihnen fehlt es allerorten an Urbanität. Die Rede ist von "Industriedörfern", von unfertigen, in ihrer urbanen Entwicklung abgebrochenen "Halbstädten". Diese gilt es "nachzuverdichten" und erst einmal zu einer sowohl im Selbst- als auch im Fremdbild akzeptablen Stadt werden zu lassen (s. Thema "Stadtentwicklung" in der Rubrik "Erneuerung stadtregionaler Räume").

Warum da kooperieren, gar von der ohnehin noch und auf Grund leerer Kassen schon wieder schwachen Autonomie etwas abgeben, wenn man mit geschickten Schachzügen der Nachbargemeinde die Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandels-Unternehmens abspenstig machen kann?

Die Auswirkungen und Verluste der potenziellen Synergieeffekte sind schwer zu kalkulieren. Z.B. dürfte trotz der Erfolge der regionalen Image-Kampagnen die Tatsache, dass das Ruhrgebiet nur selten mit einer Stimme spricht, die Chancen auf den Zuschlag von großen "Flagship-Projekten" (z.B. Olympische Sommerspiele) eher geschmälert haben.

In jüngster Zeit gibt es aber ermutigende Ansätze: Erste interkommunale Kooperationen sind bei der Ausweisung von Gewerbeflächen oder bei regionalen Einzelhandelskonzepten zu Stande gekommen. Weitere Ansätze sind die Zusammenlegung von Gewerbeaufsichts- und Katasterämtern, Feuerwehren etc. sowie durch den "Düsseldorfer Kompromiss" realistischer werdende regionale Flächennutzungsplanung, die die Gebietsentwicklungsplanung ablösen soll (s. Thema "Strukturpolitik für das Ruhrgebiet" in der Rubrik "Erneuerung der Infrastruktur").

So schwer die "historischen Erblasten" auch wiegen mochten, seit den 1980er Jahren hatte das Ruhrgebiet nicht mehr allein mit diesen zu kämpfen. War schon die vorangehende "basistechnologische Generation" - von Automobil-, Chemie- und Flugzeugindustrie geprägt - weitgehend am Ruhrgebiet vorbeigegangen, so stand nun bereits die nächste Generation an (Chip, Elektronik/EDV/Software-Industrie) (s. Thema "Megatrends des Wandels" in der Rubrik "Zukunftsperspektiven"). Auch sie suchte und schuf sich, wie jede basistechnologische Generation, nach Maßgabe der speziellen, neuen (nun "weichen") Standortanforderungen ihre neuen Regionen (s. Thema "Strukturpolitik für das Ruhrgebiet" in der Rubrik "Erneuerung der Infrastruktur").

Auf der Suche nach nunmehr weichen Gunstfaktoren der Regionen - vor allem nach Nähe zur Forschung und hochqualifiziertem Personal, nach hochwertigen Wohn-, Freizeit-, Kultur- und Image-Qualitäten - taten sich die neuen technologischen Produktions-Cluster systematisch schwer, sich in den "altindustrialisierten Regionen" wie dem Ruhrgebiet anzusiedeln. Nun hießen die neuen Boom-Regionen u.a. "Silicon Valley", "Route 128" (Boston), "Region München", "Rhône-Alpes", der "Schweizer Jura-Bogen" und "Cambridge". Erst in den 1990er Jahren vermag das Ruhrgebiet auch in diesen Branchen Impulse zu setzen (s. Thema "Kompetenzfeldwirtschaft" in der Rubrik "Erneuerung der Wirtschaft").

Gegen diesen doppelten - regional-innenbürtigen und global-technolgischen - Wandlungsdruck waren die strukturpolitischen Instrumente wie etwa das Aktionsprogramm Ruhr (1980 - 1984) vergleichsweise machtlos und wenig wirksam.

Die Umstrukturierung der "Alt-Konzerne" schritt selektiv voran: Dem Ruhrgebiet waren die montanindustrielle Ent-Industrialisierung und massiven Arbeitsrationalisierungen beschieden, den Wachstumsregionen die Neu-Investitionen, Gründungs- und mittelständischen Ansiedlungserfolge. Die technologische Modernisierung konnte erst in ihren späteren Phasen auch das Ruhrgebiet erreichen (z.B. Handy-Produktion bei Nokia und die Welle der Technologie- und Gründer-Zentren).

Konjunkturelle Hochphasen, der Wiedervereinigungs-Boom und der Hoffnungsträger "Dienstleistungsgesellschaft" vermochten die anhaltenden Wirkungen der wirtschaftsstrukturellen Erblasten im Zeichen des globalen, gesamtgesellschaftlichen Umbruchs nur vorübergehend und unzureichend zu mildern. Die Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet stieg sprunghaft und mit nur kurzen, schwachen Erholungsphasen an.