Vertiefung: Die vier Ursachenkomplexe für den Verlust von Innovationskultur

1. Der Montansektor und die damit verbundene Monostruktur des Ruhrgebietes wurden nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Wirtschaftspolitik einseitig gefördert - ganz im Sinne der dominierenden Interessenkoalition aus Unternehmerschaft, Gewerkschaften und Städten (Petzina 1990, S. 564 ff). Die Voraussetzungen für endogene, d.h. der Region innewohnende Neuerungsimpulse und Unternehmensgründungen waren damit denkbar ungünstig - ein Sachverhalt, der bis heute in Form von unterproportionalen Gründungsraten beobachtbar ist (vgl. Thema "Strukturwandel des Mittelstandes" in der Rubrik "Erneuerung der Wirtschaft").

2. Die Monostruktur barg aber nicht nur für Neugründungen, sondern auch für die bestehenden Klein- und Mittelunternehmen (KMU) entscheidende Innovationshindernisse: In der Regel waren sie mit dem Bergbau und der Stahlerzeugung als vor- oder nachgelagerte Zulieferer verflochten. Beide Seiten waren jedoch an zuverlässigen und bewährten, d.h. stabilen und langfristigen Liefer- oder Dienstleistungsbeziehungen interessiert, wodurch das Bindungsverhältnis zwischen den Zulieferern und Abnehmern sehr eng wurde. Lieferaufträge waren nach Umfang, Art und Qualität im Voraus fixiert.

Die Klein- und Mittelbetriebe standen somit nur ausnahmsweise unter dem Druck, innovatorisch aktiv werden zu müssen, sei es im Bereich der Produkte, Firmenorganisation oder gar neuer Absatzmärkte. Eine für den Mittelstand andernorts übliche und überlebensnotwendige Innovationskultur war kaum erforderlich, wurde nicht gepflegt und unterlag daher im Laufe der Zeit einem regionstypischen Verschleißprozess.
Ein Beispiel dafür sind die ehemaligen Flottmann-Werke in Herne: In den 1960er Jahren Weltmarktführer im Bereich der Kohleabbau-Hämmer, wurde die Umorientierung auf ein (nur schwach entwickeltes) zweites Standbein der Druckluft-Technologie (u.a. keimfreie Belüftungsanlagen im Krankenhauswesen) erst spät angegangen: Vielmehr setzte man auf eine Art "Restverwertung" des Know-hows und exportierte die Abbauhämmer nach China in den aufstrebenden Bergbau. Dieses Geschäft florierte nur kurz. Die dann folgende Umstrukturierung auf die konkurrenz- und innovationsintensive zweite bzw. neue Produktschiene gelang nur kurzfristig. Die Firma verkleinerte sich, zog innerhalb Hernes an einen anderen Standort, wurde aufgekauft und verschwand als "Eco Air" wenig später aus der Region.

3. Die Innovationskultur der Montankonzerne entwickelte sich dagegen überaus dynamisch: Innerhalb weniger Jahrfünfte strukturierten sich viele sog. "Altkonzerne" zu modernen, diversifizierten Mischkonzernen um. Entscheidend für die Regionalentwicklung aber war dabei der Sachverhalt, dass die Montankonzerne sich im Wesentlichen durch Aufkauf von oder Beteiligungen in modernen, erfolgreichen Branchen und Unternehmen engagierten. Diese aber waren - ebenfalls systembedingt - nicht im Ruhrgebiet zu finden. Der (innovatorische) Strukturwandel der Konzerne manifestierte sich daher - räumlich gesehen - in Entwicklungsimpulsen außerhalb des Ruhrgebietes.

Vor diesem Hintergrund mussten jegliche Strategien der "endogenen Potenzialentwicklung", der auf den innenbürtigen Kräften und Ressourcen aufbauenden Erneuerung der Wirtschaft, versagen.

4. Aus den oben genannten Gründen blieben auch die auf auswärtige Impulse setzenden "exogenen Wachstumsstrategien" sehr bescheiden. Denn im Vergleich zu konkurrierenden und modernen Industrieregionen unterlag das Ruhrgebiet noch weiteren, der Ansiedlungsbereitschaft von Unternehmen abträglichen Hindernissen (s. Butzin 1993, S. 8):
  • Flächenengpässe
  • Altlasten
  • Standortbezogene Imageprobleme
  • Einseitige, auf die Montanindustrie ausgerichtete Qualifikationsstruktur der Arbeitskräfte
  • Hohe Bodenpreise und hohes Lohnniveau
  • Ein hoher gewerkschaftlicher Organisationsgrad
  • Erhebliche Wohn- und Freizeitmängel
Zudem musste man auch unabhängig von derartigen regionsspezifischen Ansiedlungshindernissen beobachten, dass das Potenzial von an- bzw. umsiedlungsbereiten (Groß-)Unternehmen faktisch gering war. Der Traum vom Arbeitsplatzersatz "von außen" ist wohl - mit der Ausnahme der Opel-Werke in Bochum - ausgeträumt.