Vertiefung: Hintergründe des Strukturwandels

Der Grundgedanke dieses Moduls folgt der sog. Drei-Sektoren-Theorie des sozioökonomischen Wandels. Diese beschreibt und erklärt langfristige Änderungen der Wirtschaft, wobei klassischerweise die Produktionsstruktur in drei Sektoren untergliedert wird.
  • Der Primäre Sektor beinhaltet die Produktgewinnung der Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei;
  • im Sekundären Sektor werden Produkte verarbeitet (Industrie und Handwerk, Bergbau und Baugewerbe);
  • der Tertiäre Sektor umfasst die Dienstleistungen, z.B. Handel, Verkehr, Kommunikation, Verwaltung, Bildung, Wissenschaft, Beratung, Gesundheits- und Sozialwesen.

Die Theorie unterstellt nun eine systematische und für alle Volkswirtschaften geltende Entwicklungsdynamik von der Agrar- zur Industrie- und schließlich zur Dienstleistungsgesellschaft. Sie führt von einem Schwerpunkt im Primären Sektor über den Sekundären Sektor zur Dominanz des Tertiären Sektors, wobei als Maß die Beschäftigung/Erwerbstätigkeit oder auch die Wertschöpfung (Bruttosozialprodukt) herangezogen werden.
Diese Dynamik lässt sich in der Tat am Beispiel Deutschlands belegen. Etwa 1885 übertraf die Zahl der Erwerbstätigkeit in der Industrie die der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft. Ein Jahrhundert später beginnt die Industriebeschäftigung zu sinken und wird von den Dienstleistungen überflügelt.

Die zur Erklärung in Frage kommenden Ursachen dieses Wandels setzen zum einen bei ökonomischen Triebkräften, beim Potenzial an Produktivität und Rationalisierung an: Die Agrarproduktion erlaubte sehr große Produktivitätsfortschritte. Die dadurch entbehrlich gewordenen Arbeitskräfte wurden zunächst in der Güterproduktion benötigt (s. Thema "Historischer Besiedlungsgang"). Mit zunehmender Technisierung und Automatisierung wurden auch hier immer mehr Arbeitskräfte "freigesetzt", die vom Dienstleistungssektor gebraucht wurden.

Dass dieser Prozess nicht so glatt verläuft, wird an der hohen Arbeitslosigkeit, an dem geschlechterspezifischen Umbau zu weiblichen Arbeitsmärkten und schließlich an dem immer höheren Anspruchniveau an Schul- und Berufsausbildung deutlich.
Die neue Generation der Informations- und Kommunikationstechnologie - unter dem Schlagwort "Informationsgesellschaft" zusammengefasst - legt aber eine Modifikation der Theorie zum "Vier-Sektoren-Modell" nahe. Es geht davon aus, dass sich die "nachindustrielle Gesellschaft" als "Informationsgesellschaft" entfaltet, in der die Produktion, Verarbeitung und Verbreitung von Wissen/Information das wirtschaftliche und gesellschaftliche Geschehen prägen (vgl. Bell 1975).

Dementsprechend ist die klassische Dienstleistungsgesellschaft zu differenzieren in (a) distributive (Handel, Verkehr, Nachrichten) und konsumtive (Gastgewerbe) Dienstleistungen mit nur moderaten Wachstumspotenzialen und in solche, (b) die im weiteren Sinne als wissensintensiv bezeichnet werden können (Bildung, Gesundheitswesen, Finanz-/Versicherungsbranchen, Werbung, Beratung, Datenverarbeitung, Kultur/Unterhaltung, ...). Ihnen wird auch in Zukunft ein ungleich stärkeres Zuwachspotenzial zugetraut.
  • Bell, D. (1975): Die nachindustrielle Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Campus
  • Geißler, R. (2000): Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Informationen zur politischen Bildung. Heft 269, 4/2000, Bonn, S. 19 - 24
  • Internet 1: http://www.sommeruni.uni-osnabrueck.de/16_fol3.htm (zuletzt aufgerufen am: 17.12.2008)