Vertiefung: Entwicklung von Stadtteil-Zentren: Herne-Sodingen, Mont Cenis

Luftbild von Mont Cenis
Quelle: Entwicklungsgesellschaft Mont-Cenis
Das Stadtteilzentrum Herne-Sodingen zeichnete sich durch ganz ähnliche Ausgangs- und Problemlagen aus. Hier beschritt man jedoch einen anderen Weg. Auf dem Gelände der 1978 stillgelegten Zeche Mont-Cenis sollte ein integriertes Stadtteilzentrum für den Ortsteil, zugleich aber ein weit über die Regionsgrenzen hinaus strahlendes "Flagship-Projekt" entstehen.
Die zugedachte Aufgabe eines derartigen "Flagship-" oder "Leuchtturm-Projektes" besteht darin, ein einmaliges, nicht duplizierbares Objekt mit symbolischer Aussage zur (z.B. kulturellen, technologischen oder künstlerischen) Leistungskraft der Region oder des Standortes zu präsentieren. Als Instrument einer überregionalen oder internationalen Kommunikation hat es vor allem symbolische Aufgaben zu erfüllen, die nicht zuletzt durch die Erzeugung eines Positiv-Images den Standort und die Orts-Identität fördern sollen.

Der Spagat zwischen den Erfordernissen des sozial, ökonomisch und baulich gefährdeten Stadtteils und dem Anspruch an ein Höchstmaß an Innovation ist aber nicht leicht zu bewerkstelligen, wie das Beispiel der Akademie Mont Cenis zeigt.

Der funktionale Aufbau von Mont-Cenis
Quelle: Internet 7

Ursprünglich nur als Fortbildungsakademie des Landes gedacht, konnten im Sog des IBA-Gütesiegels, der vorgesehenen hochinnovativen Bautechnologie und schließlich der Maßgaben verschiedenster Fördertöpfe immer weitere Funktionen und Investoren (Ruhrkohle AG/RAG; Stadt Herne) angezogen. Der Erfolg der IBA war auf der Tatsache begründet, dass - was sonst nicht üblich ist - Fördertöpfe für ein und dasselbe Projekt kumuliert werden durften.

Neben den Akademie-Räumen mit angeschlossenem Hotelkomplex haben ein Kongress-Saal, Restauration, Teile des Herner Rathauses und eine Stadtteil-Bibliothek hier ihren neuen Standort gefunden. Eine Boggia-Bahn unterstreicht den Anspruch auf mediterranes Flair.

Umbaut wurden dies Gebäude von einer gläsernen "Klimahülle", die nicht nur eines der größten Solardächer der Welt trägt, sondern zugleich das Binnenklima dieses Stadtteilzentrums soweit erwärmt, das es den Jahresdurchschnitts-Temperaturen von Nizza entspricht, d.h. etwa um 10 °C über der Lokaltemperatur. Weitere innovative Energietechniken flankieren das Konzept, so etwa die Nutzung des Grubengases aus den unterhalb liegenden ehemaligen Abbaugebieten und die neu zu entwickelnde Technologie zur Energiespeicherung.
Innenansicht der Fortbildungsakademie 1
Quelle: RVR-Fotoarchiv (Ziese)
Gebaut ist der Komplex weitestgehend aus recyclingfähigem Material: aus Holzpfeilern zur Stützung der Klimahülle, aus Glas und Beton. Zur Kühlung an heißen Sonnentagen dient ein ausgeklügeltes Wasserlauf-System und ein automatisches Belüftungssystem im Solardach. Die Regenwasser-Bewirtschaftung, Skulpturen, Landschaftsgestaltung und eine breite Treppenflucht zur benachbarten Wohnbebauung runden das "Flagship"-Objekt ab. Flankiert wird die Nahumgebung durch soziale Einrichtungen wie Kindergarten, Altenwohnheim und Niedrigenergiehäuser.

In Fachkreisen weltweit als Meilenstein modernster Bautechnologie beachtet, muss doch festgestellt werden, dass das Projekt in seiner Binnenwirkung auf die Revitalisierung des Ortsteils versagt: Der normale Alltag des Projekts präsentiert eher ein leeres Gebäude, die ansässige Bevölkerung nimmt es - von einigen Boggia-Spielern, Cafeteria- und Bibliotheksbesuchern abgesehen - nur sehr zögerlich an. Eine Ausnahme bilden hier die jährlich stattfindenden Veranstaltungen zum "Tanz in den Mai", die aufgrund der Besonderheit der Lokalität weniger einem Stadtteilfest als einem Diskobesuch ähneln und sich wachsender Beliebtheit erfreuen (Internet 11).
Innenansicht der Fortbildungsakademie 2
Quelle: RVR-Fotoarchiv (Liedtke)
Die Unterhaltungs- und Folgekosten sind hoch, an einen kostendeckenden Betrieb kann gegenwärtig noch nicht gedacht werden. Aus sozialpolitischer Sicht wurde eine "Oase in der Wüste" geschaffen - ein nicht unübliches Phänomen der städtebaulichen Leuchtturm-Strategie. Andererseits gehört das Projekt nach wie vor zur weltweiten Avantgarde der zukünftigen und am Leitbild der Nachhaltigkeit orientierten Bautechnologie.

Es erscheint fraglich, ob diese Diskrepanz zwischen lokaler und globaler Vernetzung oder gar Einbettung wird überbrückt werden können.