Problemkontext der Metropole Ruhr

Die Metropole Ruhr entfaltet sich in vielfältigen Spannungsfeldern. Das bislang in verschiedenen, konträren Entwürfen entfaltete Leitbild der "Metropole Ruhr" findet seinen Gegenspieler in der "Metropolregion Rhein-Ruhr": Welches der beiden Konstrukte vermag dem unausweichlichem "Spagat" zwischen funktional-globalen und territorial-regionalen / lokalen Erfordernissen besser zu entsprechen? Würde ein funktionales Schwergewicht "Rhein-Ruhr" zu Lasten der Problemlösungen auf lokaler Eben (vornehmlich) der Region Ruhr operieren? Wäre vielleicht die Metropole Rhein-Ruhr ein Huckepack-Unternehmen, in dem das Ruhrgebiet auf dem Rücken der prosperierenden Rheinregion in das neue Europa transportiert werden kann? Wäre ein solches Konstrukt überhaupt lebensfähig? Düsseldorf und besonders Köln jedenfalls stehen einer solchen Metropolen-Architektur eher skeptisch bis ablehnend gegenüber, zumal der geographische Regionsbegriff "Rheinland" die Differenzen zwischen den beiden Städten nicht hat mildern können.

Weist die Perspektive einer global ausgerichteten Region im internationalen Konkurrenzkampf (u. a. des neuen Europas) mit dominantem Blick auf "Wettbewerbsfähigkeit durch (kontinuierliche) Innovation" im Kontext der "Wissensökonomie" den richtigen Weg? Kann und wie kann der damit einhergehenden sozialen Fragmentierung und Polarisierung Rechnung getragen werden? Wie ist eine postindustrielle, zukunftsfähige Metropole Ruhr zu denken ohne Lösung der sich (gerade in der heranwachsenden Generation) verfestigenden sozialräumlichen Problemlagen?
Spannungsfelder der Metropolbildung "Ruhr"
Quelle: Autorenteam
Das "Ruhrgebiet der zwei Geschwindigkeiten" ist schon lange Realität. Die metropolorientierte Neuformulierung der (regionalen) Entwicklungspolitik droht die Disparitäten zu verschärfen und im ungünstigen Fall zu einem Gefährdungspotenzial der regionalen Standortqualität zu werden: Da stehen Leuchtturm-Projekte auf Industriebrachen, die ihre dicht besiedelte Nahumgebung, nicht selten benachteiligte Problemquartiere mit anhaltender sozialen Abkopplung und Segregation, im Dunkeln lassen. Das Imageproblem erweist sich trotz aller Wandlungsdynamik und allmählicher Korrekturen als außerordentlich zählebig. Die kommunale Finanzkrise hat sicht nicht zuletzt durch die hohe Zahl der "Sozialhilfeempfänger" gefestigt. Die Modernisierung der Infrastruktur - von Schulen über Straßen bis zur Kanalisation - hat in den letzten Jahrzehnten als haushaltspolitisches Sparschwein herhalten müssen. Nun aber sind die Kassen leerer denn je. Werden sich unterdurchschnittlich ausgeprägte Triebkräfte wie Gründungsmentalität, Forschungs- und Entwicklungsaufwändungen und mittelbetriebliche Innovationskapazität in hinreichendem Maß aufbessern lassen?

Schließlich hat die Erfahrung der letzten vier Jahrzehnte gezeigt, dass die politische Steuerbarkeit des Strukturwandels nach erfolgreichen anfänglichen Kraftakten (u.a. Hochschulgründungen, Straßennetz) bescheidener eingeschätzt werden muss. Wird sie angesichts knapper werdender (und nicht mehr selbstverständlich fließender) Fördergelder auch weiterhin - zunehmend? - von kraftvollen Worten, symbolischer Politik, ersetzt werden?

Welche Chancen hat die "Metropole Ruhr"
  • unter Bedingungen einer "Entwicklung ohne Wachstum" bzw. der demografischen und wirtschaftlichen Schrumpfung?
  • als einigende Klammer einer uneinigen polyzentrischen Region?
  • im Wettbewerb mit deutschen, europäischen und globalen Metropolregionen?
  • in Konkurrenz zur Alternative der Rhein-Ruhr-Region?
Gelingt schließlich die Auflösung der politischen Fragmentierung? Wie kann mit der administrativen Zersplitterung der Zuständigkeiten umgegangen werden, mit
  • drei Regierungspräsidien,
  • zwei Landschaftsverbänden,
  • 20 Institutionen der Wirtschaftsförderung,
  • 24 Verkehrsbetrieben,
  • 6 Industrie- und Handelskammern,
  • dem "Regionalverband Ruhr",
  • Nicht-Regierungsorganisationen wie "Initiativkreis Ruhr", "Verein pro Ruhrgebiet"? (Auswahl; s. Jasper / Scholz 2008, S. 630).
Gelingt die Überwindung des jahrzehntelang gepflegten Kommunalegoismus? Im Null- (bzw. Minus-)Summenspiel des Demografischen Wandels und der Globalisierung, im Wettbewerb um die noch frei verfügbaren qualifizierten Arbeitskräfte, Investoren, Steuerzahler und Kaufkraft ist das "Kirchturmdenken" in eine neue Runde gegangen. Wird die wachsende Zahl interkommunaler Kooperationen und Zweckgemeinschaften dem hinreichend entgegenwirken können?

Ausgangslage zur Entwicklung der Metropole Ruhr

Kann also das Spannungsfeld zwischen Lebensqualität bzw. sozialräumlichen Gefährdungen und den Herausforderungen globaler Wettbewerbsfähigkeit ausbalanciert bzw. das "Ruhrgebiet der zwei Geschwindigkeiten" gebändigt werden? Der Erfolg der Regionsbildung wird sich bewähren müssen in einem "Kreuz der Regionsbildung", das durch konfligierende Interessen von oben, von unten, nach außen und nach innen aufgespannt ist.
Metropole Ruhr: Das Kreuz der Regionsbildung
Quelle: Autorenteam
Metropole Ruhr: Das Kreuz der Regionsbildung
Quelle: Autorenteam
Regionsbildung, auch die unter der Dachmarke "Metropole Ruhr", liegt nicht allein in der Hand der Akteure. Auf die exogenen Rahmensetzungen und Potenziale kann die Politik in aller Regel nur reagieren. Das gilt besonders für die Megatrends wie z.B. technologischer und demografischer Wandel. Aber auch die endogenen Potenziale setzen Schranken und bieten Chancen. Die Ausgangsbasis der Metropolbildung wird durch diese drei Agenten maßgeblich bestimmt.
Faktoren der (stadt-regionalen) Entwicklung der Metropole Ruhr
Quelle: Autorenteam
Akteure, Projekte und Programme

Zudem sind zwei politisch-administrative Strukturdefizite der politischen Akteure zu berücksichtigen: Einerseits lässt die traditionelle, administrative Zersplitterung der Region gemeinschaftliches strategisches Handeln und Synergieeffekte nicht in ausreichenden Maße zu. Andererseits verschärft sich als Folge der wirtschaftlichen wie demografischen Schrumpfungstendenzen die interkommunale Konkurrenz um die allgemein schwindenden Wachstumspotenziale wie Investoren, Arbeitsplätze, Kaufkraft, Bevölkerung, Projektideen und Fördermittel.
Politische/administrative Strukturdefizite im Ruhrgebiet
Quelle: Autorenteam
Megatrends

Seit der Jahrtausendwende drängen sich zu den noch nicht bewältigten Folgen des technologischen Wandels bzw. montanindustriellen Ab- und Umbaus (Faktor "Pfadanhängigkeit" und "basistechnologischer Wandel") neue Herausforderungen der Globalisierung und des Demografischen Wandels auf, die sog. "Megatrends". Erstere bringt im Zuge der interregionalen (tendenziell weltweiten) "neuen Konkurrenz der Regionen", meist Wirtschaftsstandorte, mit sich. Das wird mit einem entwicklungsstrategischen Perspektivenwechsel von der "Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse" von "ausgeglichenen" bzw. "arbeitsteiligen Funktionsräumen" hin zur Metropolisierung, d.h. zur wachstumsorientierten Konzentration und zur "Stärkung der Stärken" beantwortet (vgl. Brake 2007).

Gleichzeitig erschweren die Folgen des Demografischen Wandels, die zu weniger und älterer Bevölkerung bei relativ stärker zunehmender Zahl der Einwohner mit Migrationshintergrund führen, den erfolgreichen Umbau des montanindustriellen, "alten Ruhrgebiets" hin zur wissensintensiven, global ausgerichteten Regionalökonomie der Metropole Ruhr. Problematische Wirkungen prägen das Bild vieler städtischer Quartiere, verstärken Strukturmängel des Arbeitsmarktes, der Kommunalfinanzen und der städtebaulichen sowie infrastrukturellen Erneuerung. Sie stärken schließlich auch die Zählebigkeit der unattraktiven Seiten des Regionsimages.

Endogene Potenziale und Pfadabhängigkeit

Der Weg vom montanindustriell dominierten Ruhrgebiet, dem langen, noch immer nicht abgeschlossenen Abschied von der Kohle und von großen Teilen des Stahlgeschäfts, ist in der Rubrik "Aufstieg und Rückzug der Montanindustrie" nachgezeichnet worden. Er hinterlässt seine deutlichen Spuren in überdurchschnittlich hohen regionalen Arbeitslosenzahlen, geringeren Erwerbsquoten der Frauen, vergleichsweise hohen Anteilen armer Menschen, ungünstigen wirtschaftlichen Struktur- und Leistungsdaten (z.B. Wertschöpfung, unternehmensorientierte Dienstleistungen, FuE-Investitionen, Innovations- und Gründungsdynamik). Mängel zeigen sich auch in bildungsbezogenen Indikatoren, so sind Kinder aus Arbeiterhaushalten und allgemein aus bildungsferneren Schichten z.B. an den Hochschulen unterproportional vertreten.

Die Herausforderungen des Strukturwandels deuten vor dem Hintergrund der neuen Herausforderungen nicht nur auf Dauer, sondern auch auf Beschleunigung. Im Zuge der Globalisierung ist auch die Aufrüstung der Metropolen ein weltweiter Prozess, den man bildlich vereinfacht fassen kann: "Wer bremst, verliert!"

Zur Ausgangslage der "Metropole Ruhr": Akteure und Programme

Im Folgenden sollen regionalpolitische Aktionen und Akteure beleuchtet werden. Dabei stehen einige Erfahrungen aus Programmen und Leitbildern im Vordergrund , die als Rahmenbedingungen und Strukturmerkmale der "Metropole Ruhr" von Bedeutung sind und damit für die politisch-planerische Herstellbarkeit dieser stadtregionalen Vision, für das "Region-Machen" seitens der politisch-planerischen Akteure, eine Rolle spielen. Zur Dämpfung allzu hoher Erwartungen der Akteure erscheint es sinnvoll, in Erinnerung zu rufen, dass die zurückliegende Serie wechselnder Raumbilder, Leitbilder und Instrumentierungen - allesamt entworfen und (teils) umgesetzt zur Erneuerung der alten Industrieregion Ruhrgebiet - im Vergleich mit den formulierten Erwartungen und Zielen nur mit eher bescheidenen Teilerfolgen haben aufwarten können: Die planungskulturellen Kapazitäten und gesellschaftlichen Steuerungspotenziale wurden (und werden) systematisch überschätzt. Dagegen werden die finanziellen und zeitlichen Horizonte der Herstellbarkeit von regionalem Strukturwandel, von Region, unterschätzt. Die Bündelung der heterogenen (z.B. kommunalen und organisationalen) Interessenslagen und die Pfadabhängigkeit - erwachsen aus "Erblasten" des zurückliegenden Strukturwandels - bleiben auch im hoffnungsvollen Schwung des neuen Leitbilds "Metropole Ruhr" die alten, schwer zu bewältigenden Probleme.

(A) Programm "Neu-Industrialisierung" und Urbanisierungsprogramme (ab Ende der 1960er Jahre) Die nach der historischen Siedlungsbasis "erste Urbanisierung", montanindustriell getragen, hat im Ruhrgebiet zu dezentralen "Industriedörfern" geführt, die in Abhängigkeit der (geologisch determinierten) Standorte der Zechen keine normale Urbanität und städtische Funktionalität entfalten konnten und sollten. Auch die Stahlstandorte - anders als die Bergbausiedlungen - am Rand der damaligen Städte und deren Arbeitsmarkt angesiedelt - schufen sich ihre eigene Stadtfunktionen (Krupp-Konsum, Krupp-Krankenanstalten) und kleinkammerig fragmentierende Infrastrukturen (Werksbahnen, -straßen, Kanäle, Häfen, Energie-, Öl- und Gasleitungen). Diese Strukturen sind nach dem Zweiten Weltkrieg in der baulichen Substanz zwar erneuert, prinzipiell aber in unveränderten Mustern wieder aufgebaut worden.

Als Mitte der 1960er Jahre der damalige Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller zur "Neu-Industrialisierung des Ruhrgebiets" aufrief, waren die eigentlich entscheidenden Akteure, die montanindustriellen Konzerne, von dieser Maxime nicht überzeugt. Gleichwohl konnten die Macht erhaltenden Strukturen der Boden-, Bildungs- und Innovationssperre aufgelockert und nach und nach - letztlich in einem viel zu langen Zeitraum - stadtwirtschaftliche sowie stadtgesellschaftlich modernisiert werden.
Neuindustrialisierung und Integrierte Entwicklungsstrategie
Quelle: Autorenteam
Diese "zweite Urbanisierung" betraf im Zuge des "Entwicklungsprogramm Ruhr" vor allem:

(1) eine Bildungsoffensive zur Mobilisierung der (Aus-)Bildung, die in einer Reihe von Hochschulgründungen mündete;

(2) die Mobilisierung der Arbeitskräfte, um die Erreichbarkeit anderer als nur nachbarschaftlich gelegener Arbeits-, Einkaufs-, Bildungs- und Freizeitstätten zu gewährleisten. Sie erfolgte durch ÖPNV- und Autobahnausbau im Rahmen siedlungs- und infrastrukturelle Erneuerung des Siedlungschwerpunktprogramms, das ab 1968 im Entwicklungsprogramm Ruhr, ab 1970 im "Nordrhein-Westfalenprogramm 1975" fortgesetzt wurde;

(3) Schließlich gelang die Mobilisierung des Bodens durch die Einrichtung des Grundstücksfonds.
Um aus den Industriedörfern urbane Gebilde zu machen, bedurfte es einerseits der Nachverdichtung und der Mobilisierungsstrategien. Andererseits waren großstadttypische Standards damit nicht allein herzustellen: In den 1970er und 1980er Jahren mussten Wohnumfeldverbesserungen und Freizeitqualitäten (z.B. Revierparks), aber auch kommunale Neuordnungen "nachgerüstet" werden.

Die im Zuge der zweiten Urbanisierung erreichte Aufwertung der Städte ging einher mit der sozialpolitischen Abfederung des montanindustriellen Abbaus. Mit den Milliardensummen an Subventionen, die sich in den letzten 50 Jahren auf 128 Milliarden Euro summierten und noch 2008 ca. 2,5 Mrd. Euro pro Jahr ausmachten (Strubelt 2008, S. 657), konnten Entlassungen der Arbeiterschaft weitgehend vermieden bzw. mit Vorruhestands- und Um- / Weiterbildungsmaßnahmen flankiert werden.

Diese Mittel wurden andererseits auch der sektoralen Neu-Industrialisierung und dem Ausbau neuer Dienstleistungen entzogen. Der behutsame soziale Umbau brachte dem Ruhrgebiet einerseits den Ruf einer europaweit beachteten "sozialstaatlichen Vorreiterregion" ein (ILS 2003, S. 66), ist andererseits aber teuer erkauft worden:

"Der lange Abschied von der Kohle hatte eine verheerende Wirkung für das Ruhrgebiet und die gesamte deutsche Volkswirtschaft. Nicht nur weil die Subventionen für die konkurrenzlose Kohle in den vergangenen 50 Jahren rund 128 Mrd. Euro verschlungen haben, sondern auch weil das Festhalten an den alten Industrien den Strukturwandel behindert hat" (Berlin Institut 2008, S. 163).

Dieses Urteil fällt sicherlich zu einseitig aus und lässt die sozialpolitischen Motive unberücksichtigt, da die nicht mehr benötigten und - trotz Weiterbildung - oft nicht vermittelbaren Bergleute sozialverträglich kaum anders aufzufangen waren. Gleichwohl sind die Spätwirkungen des damit hinausgezögerten Strukturwandlungsprozesses gravierend: Die folgenden industriewirtschaftlichen Generationen der Automobil-, Elektro-, Chemie- und IT-Industrie haben sich nicht oder nur ansatzweise als Zweigwerke, d.h. als "Neu-Industrialisierung zweiter Hand", in der Region angesiedelt. Die Um- und Weiterbildungsanstrengungen, der Aufbau von (Fach-) Hochschulen, die Mobilisierung der Bildung, führte daher mangels attraktiver regionaler Arbeitsplätze oft zur Abwanderung der besser Qualifizierten in prosperierende Regionen.

Hinsichtlich der regionalökonomischen Strukturmodernisierung geriet das Ruhrgebiet im Zusammenhang mit dem zeitlich und strategisch verzögerten, finanziell nur schwach flankierten, ökonomischen Strukturwandel zu einer "verspäteten Region".
Das Ruhrgebiet als technologisch-ökonomisch "verspätete Region"
Quelle: Autorenteam
(B) Modell der "Europäischen Stadt"

Ein weiteres, wenn überhaupt, so nur langfristig zu behebendes Problem ist gleichsam als "nicht beabsichtigte Nebenwirkung" geschaffen worden: Dem Versuch der Neu-Industrialisierung und auch den folgenden Programmen liegt ein Urbanitätsbegriff zu Grunde, dem das Ruhrgebiet in seiner industriegeschichtlich begründeten, pfadabhängigen Besonderheit grundsätzlich nur ansatzweise entsprechen konnte und kann: das Modell der "Europäischen Stadt" und der "Urbanität durch Dichte".

Zum einen ist das Ruhrgebiet weitestgehend durch die montanindustrielle Entwicklung und in deren dispersen Standorten "urbanisiert" worden ("erste Urbanisierung"). Als polyzentrisch gewachsener Wirtschaftsraum vermochte es daher noch nie dem Idealbild der klassischen europäischen Stadt - "kompakt" und monozentrisch im Muster London, Paris, Berlin, Hamburg oder München - zu entsprechen (ILS 2003, S. 66).

Zum anderen blieben die Versuche der Nachverdichtung, der "zweiten Urbanisierung" des Ruhrgebiets, unvollständig und unbewältigt. Das gilt zunächst für die dichten Wohnquartiere in unmittelbarer Nachbarschaft der Zechen und Stahlwerke, die - durch deren Stilllegung ihres "Herzens" beraubt - nicht selten Tendenzen zu Problemvierteln mit benachteiligter Bevölkerung entwickelten (arme und armutsbedrohte Alte, Arbeitslose, Alleinerziehende, Ausländer). Das trifft überdies zu für die hoch verdichteten Großwohnsiedlungen der 1970er Jahre: Sie litten bereits eine gute Generation später unter Akzeptanzmangel. Selektiver sozialstruktureller Umbau, Ghettoisierung, sozialräumliche Exklusion und Leerstände wurden zu Problemen, die schließlich Strategien der Stadtteil-Erneuerung erforderlich machten. Stabilisierungsprogramme, wie "Rückbau" oder Abriss gehören nach nur gut drei bis vier Jahrzehnten zu den Folgelasten.

Sie machen seit den 1990er Jahren Maßnahmen einer "dritten Urbanisierung" erforderlich. Stadterneuerungsprogramme wie "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf", "Stadtumbau West" und "Soziale Stadt" bzw. "Integrierte Stadtentwicklung" wurden aufgelegt, um Probleme des Quartierverfalls, der sozialen Segregation und städtischen Fragmentierung zu lösen. Renaturierung, innerstädtische Frei- und Grünräume, "Arbeiten im Park", preiswerter moderner Wohnraum und industriekulturelles Erbe waren bereits in den 1990er Jahren durch die IBA in den Fokus gerückt (s.u.).

Gleichwohl bleibt fraglich, ob und wie eine metropolitane Stadtqualität im Bild der klassischen europäischen Stadt überhaupt möglich sei. Denn in diesem Entwurf sind wesentliche ruhrgebietstypische Erscheinungen überhaupt nicht vorgesehen: Sie reichen von der industriespezifischen Infrastruktur über (wenn auch gewandelte) arbeiterschaftliche Lebens- und Organisationsformen, vom fehlenden Bürgertum bis zum interkommunalen Konkurrenzkampf und Kirchturmdenken. Auch ist in diesem Stadtmodell kaum Platz für die Hinterlassenschaften der Industrie (umfangreiche Brachen) und für retardierte Entwicklung ("verpasste" basistechnologische Generationen und Erneuerungsstau durch montanindustriell gebundene Subventionen).

(C) Regionalisierte Strukturpolitik (IBA und Regionale Entwicklungskonferenzen)

Hier setzte die Internationale Bauausstellung Emscher-Park neue Zeichen, wobei Urbanität im Sinne der Nachverdichtung eine letztlich nur in bescheidenen Ansätzen realisierte Rolle spielte. Die Akteure der IBA ersetzten die regional, sozial und sektoral umfassende "große" Modernisierungsstrategie, die die Steuerungskapazitäten bei weitem überstieg. Sie reagierten auch auf die anschließende, im Anspruch zu bescheidene Planungsphase des (leitbildlosen) Inkrementalismus (mit favorisierten Themen wie Denkmalsschutz, Wohnumfeldverbesserung, Verkehrsberuhigung).

Die IBA entwickelte mit der Planungskultur des "Perspektivischen Inkrementalismus" ein europaweit beachtetes Vorbild. Dessen neues Denken forderte thematisch gebündelte, kleinschrittige Projekte im Rahmen von Leitbildern "mittlerer Reichweite", so etwa die Emscher-Renaturierung, Leitprojekte wie "Arbeiten im Park", Stadtteil-Erneuerung, besonders aber die Erhaltung und Neunutzung des industriekulturellen Erbes. Man setzte auf städtebauliche Innovation durch wettbewerbliche Ausschreibungen, kreative Akteure und Kontrolle von Qualitätsstandards, wobei die ökologische, in der zweiten Halbzeit (ab 1995) auch explizit "nachhaltige" Perspektive wesentlichen Raum einnahm. Flexibilität und Korrektur- bzw. Lernfähigkeit während des an Leitbildern orientierten Realisierungsprozesses, kommunikative, wenn auch noch kaum partizipative Planungs- und Umsetzungsverfahren, bildeten Schwerpunkte.
"Das neue Ruhrgebiet": Titelblatt "Geographie heute" von 1998
Quelle: Geographie heute, 1998, Heft 165
Im Zuge der neuen globalen Herausforderungen und auf dem Weg vom altindustriellen Ruhrgebiet zur Metropole Ruhr hat sich der Modernisierungsschub durch die IBA zwar als wichtiger Meilenstein erwiesen. Aber auf 10 Jahre, einen Teilraum des Ruhrgebietes und auf bestimmte Leitprojekte beschränkt, konnte und wollte die IBA weder zeitlich noch räumlich noch konzeptionell eine Gesamtstrategie zur Bewältigung des regionalen Strukturwandels bieten.

Das "Neue Ruhrgebiet" - als Summenformel nach den Erfolgen der Internationalen Bauausstellung Emscher-Park Ende der 1990er Jahre ausgerufen - war denn auch nicht mehr als eine zu optimistische Zwischenbilanz.