Metropole Ruhr: Megatrends

Zur Ausgangslage der "Metropole Ruhr": Megatrends

Die Überschätzung der regionseigenen Gestaltungs- und Steuerungsmacht ist ein im Ruhrgebiet durchgängiges Kennzeichen der planungsstrategischen Ansätze, bis in die Konzepte des Jahres 2008, wie sich zeigen wird. Selbst wenn die endogenen Potenziale in vollem Umfang entfaltet werden könnten, so bergen die exogenen Rahmenbedingungen, besonders die grundsätzlich unübersichtlichen und zeitweise turbulenten "Megatrends", eine Schranken weisende Gestaltungsmacht mit eigenen, weder bekannten noch beherrschbaren Regeln.

Vier derartiger Megatrends dürften als begrenzende Faktoren für den Spielraum von Bedeutung sein, in dem die Entwicklung der Metropole Ruhr operieren kann.
Megatrends als Rahmenbedingungen der Regionalentwicklung
Quelle: Autorenteam
1. Ökonomisch-technologischer Wandel

Zunächst ist der bereits an anderer Stelle diskutierte ökonomisch-technologischer Wandel von Bedeutung (s. Vertiefung "Kondratieff Wellen". Er hängt eng mit dem (bislang recht regelhaften) Wechsel der Basistechnologien und dem zugehörigen Erschließungs-, aber auch Verschleißprozess der innewohnenden Innovationspotenziale zusammen. Dabei wurde beobachtet, dass die Standorte der neuen technisch-ökonomischen Cluster jeweils neue, industriell noch ungenutzte Regionen suchen und entwickeln Diese Beobachtung ist für das Gestaltungspotenzial der Metropole Ruhr von doppelter Bedeutung: (a) Technologisch junge Wirtschaftsräume entfalten sich systematisch nicht in altindustrialisierten Regionen, sie werden dort eher als "Inward-Investment", nicht selten in der Form von Zweigwerken angesiedelt ("Neo-Industrialisierung aus zweiter Hand"); (b) Soweit die These stimmt, dass das Ruhrgebiet eine "verspätete Region" ist, scheint es besonders wichtig, die andernorts bereits früher entstandenen regionalwirtschaftlichen Cluster, konkurrierenden Regionen und deren Erfahrungen in die strategischen Überlegungen einzubeziehen. Hier besteht noch Nachholbedarf, denn in der Euphorie der "Kompetenzfeldwirtschaft" seit Ende der 1990er Jahre, wie sie im Ruhrgebiet als "Mainstream"-Strategie Verbreitung gefunden hat, sind einige wichtige, erfolgsfördernde Funktionselemente der Clusterökonomie übersehen worden (vgl. Dufour 2009). Dazu gehören z.B. die kritische Masse einer vernetzten branchenspezifischen Produktionskette, ein ehr großräumiges Netzwerk, hinreichendes Risikokapital und intensive Kommunikation

In einer Zeit, als der ökonomisch-technologische Wandel in seiner ersten Phase, dem (verspäteten) Ab- und Umbau der Montanindustrie, annähernd bewältigt ist, erschwert ein ganzes Bündel neuer komplexer Megatrends die zweite Phase, die Strukturerneuerung:
  • Der Globalisierungsprozess und
  • der demografische Wandel bergen je für sich hochkomplexe Herausforderungen.
  • Auch der Klimawandel und seine noch kaum bekannten Wirkungen auf Großstädte wird die Funktionalität und Attraktivität der Metropole Ruhr beeinflussen, verfehlt bislang jedoch noch weitgehend eine Impuls gebende Wirkung auf die stadtentwicklungspolitische Wahrnehmung, Planung und Gestaltung.
  • Vertiefung: Kondratieff-Wellen
  • 2. Globalisierung und Metropolisierung

    Mit dem rasanten Aufstieg der Globalisierung ändert sich die Maßstäblichkeit der Aktionsräume von Wirtschaft und Gesellschaft, in der Folge auch die der politischen Handlungsräume, Zuständigkeiten und Reichweiten.

    Neben Europa, USA und Japan, d.h. der klassischen Triade, betreten nun neue Wirtschaftsmächte wie China und Indien die Bühne. Unter dem Druck der erstarkenden und sich vervielfältigenden weltwirtschaftlichen Konkurrenten reagiert die Europapolitik mit Liberalisierung, Deregulierung und internationalen Kooperations- / Vernetzungsstrategien. Diese neue "Konkurrenz der Regionen" wird als existenzielle Herausforderung erachtet und mit neuen Strategien beantwortet.
    Definition Globalisierung
    Quelle: Autorenteam in Anlehnung an Diercke 360°, 1/2008, S. 2
    Hier sind zum einen die INTERREG - Programme der EU zur interregionalen / internationalen Kooperation und Vernetzung von Bedeutung, zum anderen die Lissabon/Göteborg-Strategie. Sie zielte mit den EU-Rats-Beschlüssen im Jahr 2000/2001 auf eine Gleichzeitigkeit von Wachstums- und sozialen Ausgleichszielen, also zu einer Art europapolitischer "Quadratur des Kreises" (vgl. "Metropolen und Metropolregionen").

    Die ökonomisch-technologische Wandlungsdynamik führt im Verein mit der Globalisierung zu einem Umbau von der Industrie- über die Dienstleistungs- zur Wissensgesellschaft.

    Der Umbau zur neuen Stadtwirtschaft, zur Wissensökonomie, ist mit einem paradigmatischen Schwenk zur Metropolisierung verbunden. Denn es sind die Metropolen, die als Knotenpunkte der Generierung, Verarbeitung und Kommunikation von Wissen global vernetzt sind und besondere unternehmerische Standortvorteile bieten. Das neue Paradigma der Metropolisierung zeitigt erwartungsgemäß seine Wirkungen auch in der Regional- bzw. Stadtentwicklungsplanung Europas und Deutschlands. Seit Mitte der 1990er Jahre arbeitet ein "Initiativkreis europäischer Metropolregionen in Deutschland" an Untersuchungen, Konzepten und Ausweisung deutscher Metropolregionen (s. u.).

    Während in den europapolitischen Leitbildern der Lissabon / Göteborg-Strategie neben der Globalisierung auch der basistechnologische Wandel von klassischen industriellen Produktionsweisen des Fordismus (Montan-, Auto-, Teilen der Elektro- und Elektronik-Industrie) zu postfordistischen, "wissensbasierten Wirtschaft" (vgl. "Von der Industrie zur Dienstleistung") Beachtung findet, die Herausforderung des Klimawandels immerhin Erwähnung findet, erscheint der Demographische Wandel (vgl. "Demographische Wandel") als "Megatrend" unberücksichtigt.
    Wirkungen der Globalisierung und das Ruhrgebiet
    Quelle: Autorenteam
    Klimawandel und Stadtökologie

    Ein noch schwach bearbeitetes Forschungsfeld liegt in der Bedeutung des Klimawandels für großstädtische Agglomerationen. "Kompakte Kernstädte" setzen auf ein ökologisch wünschenswertes Modell der "Stadt der kurzen Wege", auf Verkehrsvermeidung und Ressourcenschonung (z.B. Flächen, Infrastrukturnetze), aber auch auf "Urbanität". Was bedeuten erhöhte Durchschnittstemperaturen für das Wohlbefinden der Bewohner, für die Gesundheit z.B. der Alten? In Wien sind zwischen 1990 und 2004 Hitzeperioden untersucht worden. Die Mortalitätsziffern waren (je nach Berechnungsmethode) zwischen knapp 8% und knapp 16% signifikant erhöht (Institut für Meteorologie 2006, S. 20).
    Was für Risiken drohen durch prognostizierte, zunehmende und extreme "Witterungsanomalitäten" wie Hitze- und Trockenperioden, Stürme, Starkregen-Ereignisse? Wie kann im Vorfeld, zur Gefahrenabwehr und nicht erst als "Störfallvorsorge", eine zukünftige Stadtgestaltung z.B. hinsichtlich urbaner Hitzeinseln, veränderter Verdunstungsraten und klimatischen Extremereignisse agieren? Wie verletzlich oder widerstandsfähig sind heutige städtebauliche Strukturen und Standards? Welche Rolle spielen Oberflächengestaltung und Farbgebung der Straßen und Bauten, Wasser- und Grünflächen, Durchlüftungsschneisen (besetzt mit welchen Pflanzen in ihrem Beitrag zu angemessener Staubbindung, Evapotranspiration, CO2- und Strahlungsabsorption)? Welches sind die Korrekturbedarfe an den Strukturen der "alten europäischen Stadt" und ihrer Maxime "Urbanität durch Dichte"?

    Kann und darf der bevorstehende Klimawandel ohne bauliche und gestalterische Vorsorge, ohne ökologische Sensibilisierung und verstärkte Berücksichtigung des Nachhaltigkeitspostulats "ausgeblendet" werden, wenn z.B. die infrastrukturellen und baulichen Nutzungszyklen 50 und mehr Jahre dauern?

    4. Demografischer Wandel (vgl. Thema "Demografischer Wandel")

    Ende der 1990er Jahre und durchaus nicht unwidersprochen wird die Dimension der demografischen und ökonomischen "Schrumpfung" wahrgenommen, allerdings politisch akzeptabler und programmatisch handhabbarer formuliert als "Entwicklung ohne Wachstum": Im Ruhrgebiet wird der allgemeine Trend zu weniger Kindern noch verstärkt durch einen Echo-Effekt des montanindustriellen Abbaus in den 1970er und 1980er Jahren (vgl. "Bevölkerung und Arbeit"):

    • Es fehlen der Region die Kinder jener Eltern, die damals nicht bzw. nach Abwanderung andernorts geboren wurden.
    • Es fehlen aber auch jene Arbeitsplätze und Modernisierungsimpulse, die im Zuge des außerordentlich erfolgreichen Umbaus der ehemaligen regional engagierten Montanunternehmen zu internationalen Hightech-Konzernen in andere Regionen ausgelagert wurden.
    Der Demografische Wandel wurde zunächst kaum bemerkt, zeigt sich inzwischen aber deutlicher. Dagegen werden seine langfristigen, sehr tief einschneidenden Wirkungen zwar intensiv diskutiert, aber nur in Anfängen in der regionalen strukturpolitischen Entwicklungsplanung berücksichtigt (z.B. Pilotprojekte des Stadtrückbaus). Es wird kein stadtgesellschaftlich relevanter Bereich davon unberührt beleiben: Verwerfungen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, infrastruktureller Umbau, geminderte Kauf- und Steuerkraft, sich verschärfende kommunale Finanzkrise, Segregation und Fragmentierung sozialräumlicher Gefüge sind absehbar, sie verdichten sich zu einem Regionalen Schrumpfungsregime (vgl. Thema "Demografischer Wandel").

    Gerade im Zusammenspiel von Globalisierungs- / Wettbewerbsdruck und Demografischen Wandel liegen neue Gefährdungspotenzialem, aber auch Chancen. Globalisierung bedeutet Regionalisierung, denn im globalen Wettbewerb können kaum noch die einzelnen Standorte und Städte wahrgenommen werden, hier haben nur noch attraktive regionale Großeinheiten, Regionen und insbesondere Metropolregionen eine Chance. Gleichzeitig wächst der interkommunale Konkurrenzkampf um die noch verfügbaren Ressourcen an Bevölkerung und Arbeitsplätzen, Fördergeldern, Gestaltungsideen und Investoren.

    Der zurückliegende Wandel der politischen Steuerungskultur, der auf Deregulierung und Dezentralisierung, auf kleinschrittige Projektarbeit und Nachhaltigkeit setzte (s. IBA), mündet mit der Metropolisierung der Raumordnungspolitik in eine neue Runde. Bei enger werdendem finanziellem Handlungsspielraum und massiv zunehmendem Umbau bzw. Gestaltungsbedarf wird es auf die Qualität der regionalen Governance ankommen, auf den "Aktivierenden Staat".