Metropole Ruhr: Endogene Potenziale

Zur Ausgangslage der "Metropole Ruhr": Endogene Potenziale

An dieser Stelle kann eine zusammenfassende Übersicht genügen, da die wesentlichen Stärken und Schwächen der endogenen Potenziale bereits in anderen Themenfeldern aufgegriffen werden.

Die endogenen Potenziale des Ruhrgebiets sind in einem breiten Spektrum zu finden. Als Stärken gelten im Besonderen (Auswahl):

Lagegunst
  • Lage an den Achsenkreuzen der alten "Blauen" und der jüngeren "Gelben Banane" Europas. (vgl. Thema "Lage, Grenzen und Verwaltungsgliederung"); Zentrallage ebenfalls im sog. "Pentagon" des europäischen Kernraumes, der sich zwischen London, Paris, Milano, München und Hamburg aufspannt.
Größe
  • Absatzmarktgröße 5.3 Mio. Einwohner (2008) (vgl. Thema "Bevölkerung und Arbeit")
  • Chancen des demografischen Wandels (Alten- und Gesundheitswirtschaft)
Regionalwirtschaftliche Stärken
  • Wirtschaftliche Potenziale: Clusterwirtschaft bzw. Kompetenzfelder wie z. B. Energiewirtschaft, Gesundheitswirtschaft, Umweltwirtschaft, Maschinenbau, Logistik (vgl. Thema "Kompetenzfeldwirtschaft")
Vorreiterfunktion
  • Region Ruhr als Experimentallabor gesellschaftlicher Steuerung
  • Vorreiterfunktion in Entwicklungstrends wie dem demografischen Wandel und entwicklungsplanerischen / strukturpolitischen Strategien für viele deutsche Regionen
  • Jahrzehntelange Erfahrung in der Instrumentierung und strategieorientierten Steuerung des Strukturwandels
Flächen- und Infrastrukturpotenziale
  • Brachflächen als große (und einzigartige) Chance der Stadterneuerung (vgl. Thema "Industriebrachen")
  • Reichhaltige Kulturangebote
  • Dichte Hochschullandschaft
  • Im Vergleich zu andern Metropolen relativ gut funktionierende Verkehrs- und Infrastruktur
Zu den endogenen Potenzialen gehören aber auch Hemm- oder Ungunstfakturen (Auswahl):

Politik
  • Kommunalpolitische Kirchturm- und Konkurrenzdenken (s. o.)
  • Administrative Zersplitterung der politischen Zuständigkeiten (s. o.)
  • Konkurrenzverhalten der Akteure zur Selbstinszenierung / Profilbildung z.B.
    (a) zwischen z.B. "Initiativkreis Ruhr" (IR) und Regionalverband Ruhr (RVR) (s. u.);
    (b) zwischen RVR und einzelnen Städten, die zum "Ruhrgebiet" bzw. RVR eine ambivalente bis ablehnende Beziehung pflegen (Dortmund, Hagen, Duisburg).
Unternehmenskultur
  • Großbetriebliche Unternehmenskultur, schwächer ausgeprägte Gründungsmentalität
  • Mentale Altlasten, die einstige Größe fortschreibt und anstrebt
  • Schwache bis fehlende internationale/interregionale Vernetzung auf regional/kommunal-/politischer Ebene
  • unterdurchschnittliche Aktivitäten in Bezug auf Forschung und Entwicklung (Personal und Ausgaben), Innovationsdynamik (Patentanmeldungen)
Bevölkerungsstruktur
  • Demografischer Wandel, der in einem ersten Wirkungskreis zu weniger, älterer und internationalerer / heterogenerer Bevölkerung führt und in einem zweiten Wirkungskreis sozialräumliche Exklusions- / Integrationsprobleme, Fragmentierung der Stadtgestalt, Finanzkrisen der kommunalen Haushalte und infrastrukturelle Versorgungsprobleme mit sich bringt (vgl. Thema "Demografischer Wandel")
  • Vergleichsweise schwach ausgeprägtes Bürgertum, Auflösung der arbeiterschaftlichen Lebensform
Stadt
  • Stadtgestalterische und funktionsräumliche Mängel (z.B. Zerschneidung durch montanindustrielle Netz- / Band-Infrastruktur (Pipelines, Stromleitungen, Abwasserkanäle, Werksbahnen)
  • Defizite an Urbanität
  • Folgelasten der regionalwirtschaftlich "verspäteten Region" (s. o.)



Entwicklungsstrategien als Antworten auf die Herausforderungen

Auf der Suche nach Antworten auf diese neuen Herausforderungen entfalteten sich bereits in der Spät- und Nach-IBA Zeit, teils zeitlich parallel, teils nacheinander, drei Strategietypen, die nicht selten mit Komponenten anderer Typen durchsetzt sind. Sie sollen im Folgenden kurz skizziert werden, da sie als Basis für die im Jahr 2007 / 2008 fast zeitgleich vorgelegten Zukunftsentwürfe für die Metropole Ruhr gelten können
Idealtypische Strategien der Post-IBA-Zeit
Quelle: Autorenteam
"Big-Push-Strategien", wie sie auch in anderen Metropolen und Größenordnungen wie London (London Docklands) und Paris (McIntosh 2007) umgesetzt worden sind und werden (s. NordRefo WP 3/2006), verfolgen das Ziel einer Stadtentwicklung (und Urbanität?) durch Großinvestitionen und oder Großereignisse. Beispiele sind die (gescheiterte) Olympia-Bewerbung Rhein-Ruhr für das Jahr 2012 und die erfolgreiche Bewerbung zur "Kulturhauptstadt Europas 2010", aber auch der einstige Hoffnungsträger, die nicht umsetzbare Magnet-Hochgeschwindigkeitsbahn "Transrapid" zwischen Dortmund und Köln, die das Rückgrat einer Metropole Rhein-Ruhr hätte werden können.
Logo zur Kulturhauptstadt
Quelle: Internet 5
Auf städtischem Maßstab finden sich umfangreiche konzentrierte Groß-Investitionen, so z.B. in manchen IBA - Projekten (Leuchttürme wie Zeche Zollverein, Akademie Mont Cenis; vgl. "Stadtentwicklung"), aber auch die Einzelhandels-Großprojekte im Ruhrgebiet: Realisiert wurde das CentrO Oberhausen, nicht realisiert das gleichgroß geplante "Multi-Casa" in Duisburg, die Bahnhofsüberbauungen "Ufo" in Dortmund und "Passarea" in Essen.
Grenzen und Identitäten - Das Puzzle
Quelle: Städteregion Ruhr 2030
Strategie der "Kompetenzfeldwirtschaft" (vgl. Thema "Kompetenzfeldwirtschaft"): Zu Grunde liegt die Überzeugung, empirisch untermauert von M. Porter ab 1990, dass sich bestimmte sektorale Cluster innerhalb einer Wertschöpfungskette als wettbewerbsfähig und erfolgreich erweisen, die von der räumlichen Kompetenzballung eines solchen Wirtschaftsbereichs profitieren: Diese reicht etwa von hochspezialisierten Arbeitsmärkten / Facharbeitern über erfahrenes Management, von Zulieferern über fachlich spezialisierte Unternehmensberatung, spezifische Rechtsexpertise (z.B. Patentanwälte), vom kompetenten Risikokapital-Geber für Existenzgründungen bis zu spezialisierten Anbietern im Hard- und Software-, Transport-, Logistik-, Marketing- und Designwesen.

Diese Strategie, in der Variante der sog. Kompetenzfeldwirtschaft vom ehemaligen Kommunalverband Ruhrgebiet / KVR Ende der 1990er Jahre entwickelt, wird vom Initiativkreis Ruhrgebiet aufgegriffen und zu einem Meta-Kompetenzfeld "Energie - Werkstoffe - Logistik" ausgearbeitet (s. u.). Sie wird zudem auch von der "Regionalen Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr GmbH" aktiv weiter verfolgt. Mängel zeigen sich jedoch im clusterspezifischen Management.

Die Städteregion 2030 geht mit dem "Stadtregionalen Kontrakt" (2003) einen ganz anderen Weg. Ausgangspunkt ist die Beobachtung der immer neuen kommunalen Alleingänge, in denen kurzfristige, kleine Erfolge im Kirchturmdenken den längerfristigen, viel versprechenden Synergieeffekten aus koordiniertem Handeln vorgezogen werden. Diese Strategie richtet sich denn auch ausdrücklich auf Regionsbildung im Sinne einer Städtekooperation ("Städteregion").
Die Strategie des "Stadtregionalen Kontrakts" der "Städteregion 2030" ist auf die Herstellung einer kooperativen und kommunikativen Infrastruktur und auf strategische interkommunale Partnerschaft gerichtet, eine für die Metropolbildung unerlässliche Voraussetzung. In den beiden Folgejahren finden sich zur Konkretisierung dieser Initiative weitere Kreise und kreisfreie Städte in die Runde der acht Kernstädte ein. Auch die Kooperation mit dem RVR und der Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr (WMR) gelingt.
Auch Programme der Stadterneuerung, der dritten Urbanisierungsphase (s. o.) gehören zu den Entwicklungsansätzen der Post-IBA-Zeit. Die zunehmende Problematik der sozial benachteiligten Gruppen und ihrer Wohnquartiere, soziale Segmentierung und Polarisierung bilden das Kernanliegen dieser Strategien.

Die drei skizzierten idealtypischen Orientierungen erhalten in den Jahren 2007 / 2008 Fortsetzungen durch Entwicklungskonzepte handlungsmächtiger Akteure. Dabei spielt erstmalig die Dachmarke "Metropole Ruhr", als Marketingstrategie des RVR eine erfolgreiche Rolle, denn alle drei Strategiepapiere bekennen sich - wenn auch mit sehr verschieden akzentuierten Konzepten - zur "Metropole Ruhr":

(1) Der Initiativkreis Ruhr legt sein Strategiepapier "ContractFuture - Metropole Ruhr 2030" im "Zukunftskongress" vom Oktober 2007 vor (Bucksteeg 2007) (Titelvarianten: "Zukunft Ruhr 2030 - eine Strategie für die Metropole Ruhr" (Lampe 2008); "Zukunft Ruhr 2030" - "ContactFuture Ruhr 2030" (IR 2008)).
Titel der Vortragspräsentation "Zukunft Ruhr2030 - Eine Strategie für die Metropole Ruhr"
Quelle: Lampe (IR) am 04.09.2008 in Düsseldorf
(2) Unter Leitung der "Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr" (WMR), einer Tochtergesellschaft des RVR, und getragen von der nunmehr fast das ganze Ruhrgebiet umfassenden "Städteregion 2030", wird eine weitere Entwicklungsstrategie erarbeitet: "Konzept Ruhr - gemeinsame Strategie der Städte und Kreise zur nachhaltigen Stadt- und Regionalentwicklung" (WMR 2008).

(3) Der Masterplan Ruhr wird 2006 und vervollständigt 2008 vorgelegt von der nunmehr erwarteten Sädteregion Ruhr. Er widmet sich zunächst thematischen Schwerpunkten des Wohnens, der Sonderprojekte und der Wasserstandorte.

Die drei Akteure haben es trotz sehr ähnlicher Anliegen - wenngleich mit unterschiedlichen Inhalten und Leitgedanken - erneut nicht geschafft, sich an einen Tisch zu setzen oder auch nur abzustimmen (s. u.). Dennoch könnten erstmals in der Postmontan-Ära des Ruhrgebiets Voraussetzungen vorliegen, die der Regionsbildung einer "Metropole Ruhr" Chancen auf Konsens und auf eine mittel- bis langfristige Zielverfolgung geben.