Sektorale Wirkungen des Demografischen Wandels

Öffentlichkeit, Politik, aber auch Wissenschaft haben sich lange Zeit einer angemessenen Problemwahrnehmung zum Thema des Demografischen Wandels verschlossen (Selle 2003, S. 13). Das gilt umso mehr für dessen weitreichende Wirkungen, die für alle zentralen Bereiche der städtische Planungs- und Entwicklungsstrategien und zugeordneter Politiken neue Herausforderungen mit sich bringen, ein radikales Umdenken und im Kern eine neues Paradigma der Stadtentwicklung erfordern.

Die Veränderung der Bevölkerungsstruktur stellt in ihren ökonomischen, sozialen und räumlichen Wirkungen zunehmend neue Anforderungen an Planung und Politik. Die Anpassung der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Infrastruktur sowie die Förderung des Zusammenlebens in einer internationaler werdenden Gesellschaft sind nur einige der Aufgaben, die bei einer zunehmend angespannten kommunalen Finanzlage gelöst werden müssen.

Auch der Anteil der Erwerbsbevölkerung wird in Zukunft sowohl deutlich abnehmen als auch älter werden. Das könnte einerseits die Arbeitslosigkeit dämpfen, da der Arbeitsmarkt sich bereits gegenwärtig vom Angebotsmarkt zum Nachfrage dominierten Markt wandelt. Zum anderen aber wird der heute bereits feststellbare Arbeitskräftemangel sich erheblich verschärfen. Das betrifft besonders das gut ausgebildete Humankapital mit fachlicher und / oder Hochschul-Qualifikation (Fach- und Wissensarbeiter). Vor diesem Hintergrund gewinnt die Integration des vergleichsweise großen, jungen Potenzials der Bevölkerung mit Migrationshintergrund schon aus arbeitsmarktpolitischen Gründen massiv an Bedeutung.

Die Auswirkungen des Demografischen Wandels reichen aber noch viel weiter: Einzelhandel und Dienstleistungen, der Arbeitsmarkt, Kommunalfinanzen und Wohnungsmarkt sowie die soziale Segegration und stadträumliche Fragmentierung sollen m Folgenden näher beleuchtet werden. Auch weitere, von den vorherigen Wirkungsfeldern beeinflusste Folgeprobleme wie Infrastruktur (Auslastung), Image (Attraktivität), verschärfte interkommunale Kooperationsprobleme und die Gefahr eines sich selbst verstärkenden, negativen Verursachungsprozesses müssen berücksichtigt werden, um dem stadtentwicklungspolitischen Wirkungsspektrum des Demografischen Wandels gerecht werden zu können.

Von den 10 ausgewählten Bereichen, in denen vom demografischen Wandel erhebliche Wirkungen zu erwarten sind, seien im Folgenden ausgewählte Themen (1., 2., 3., 5., 9.) skizziert.
Hauptbereiche demografischer Wirkungen (Auswahl)
Quelle: Autorenteam
1. Einzelhandel und Dienstleistungen:

Im Ruhrgebiet werden die stadtwirtschaftlichen Auswirkungen des Bevölkerungs- und Einkommensrückgangs im Jahr 2015 auf ein Minus von ca. 5,5 Mrd. Euro jährlich - hochgerechnet auf Basis der Kaufkraftkennziffern - geschätzt. Das wird Handel, Dienstleistungen, Handwerk, und Wohnungswirtschaft besonders treffen. Bei einem erfahrungsgemäß anzunehmenden Multiplikatorwert zwischen 1,08 und 1,3 (Klemmer 2001, S. 52) summiert sich der Gesamteffekt auf sechs bis sieben Mrd. Euro jährlich, wobei der dadurch bedingte Beschäftigungsabbau noch nicht einbezogen ist. "Auf alle Fälle besteht die Gefahr, dass sich ein sich selbst verstärkender Prozess des Nachfragerückgangs aufbaut, der zu einem weiteren Abbau von Arbeitsplätzen führt, was wiederum neue Abwanderungen (von Deutschen) auslösen könnte" (a.a.O.). Davon seien die Stadtteile mit verstärkten Sozial- und Abwanderungsproblemen der Emscher-Lippe-Zone besonders hart betroffen, da es verstärkt zur Schließung von Filialen im Bereich des Handels und der Banken kommen werde. In einem sekundären Wirkungskreislauf werden Wohnqualität und Wert der Immobilien abnehmen, was die Abwanderung der deutschen Wohnbevölkerung verstärken dürfte. In immer mehr Kommunen bereiten der Leerstand von Wohn- und Gewerbeimmobilien sowie die Umnutzung von Gewerbe- und Verkehrsbrachen Schwierigkeiten (Butzin / Franz / Noll 2006, S. 260).

Im Jahr 2008/09 ist in Essen, unmittelbar am nordwestlichen Cityrand, das neue Karstadt-Einkaufszentrum entstanden. Es bietet 70.000 qm Verkaufsfläche, entspricht also der Größenordnung des CentrO. Das MultiCasa-Projekt am Hauptbahnhof Duisburgs, geplant in ähnlicher Größenordnung, ist nach dem Rückzug des Investors verworfen worden. Gleichwohl hat in Duisburg die Verkaufsfläche, allerdings in stadtverträglicherer Form, durch den Bau des sog. Forum-Duisburg zugenommen. Weitere Projekte sind fast in jeder Stadt geplant, wie z.B. in Dortmund auf dem Gelände der ehemaligen Thier-Brauerei, in Recklinghausen das neue Löhrhof-Zentrum. Angesichts sinkender Kaufkraft ist innerstädtisch wie überkommunal eine neue Dimension des ruinösen Verdrängungswettbewerbs zu erwarten. Entstehen hier die Brachflächen von morgen?

Auffällig ist, dass die Investitionen zu großen Anteilen der Abschöpfung von Kaufkraft dienen. Das gilt zunächst für den Einzelhandel, aber auch für die Sport- und Freizeit-, Gesundheits- und Kulturwirtschaft. Im Takt mit Bevölkerungs- und Kaufkraftverlusten werden sich aber auch der Konsumbereich und seine Arbeitsplätze mindern (Butzin / Franz / Noll 2006, S. 260). Diese Art von tertiärwirtschaftlicher Stadterneuerung steht möglicherweise auf sehr tönernen Füßen.

2. Arbeitsmarkt
Der Arbeitsmarkt wird in den nächsten Jahren ebenfalls einen Paradigmenwechsel erfahren: Aus einer Situation mit zu vielen Arbeitskräften für zu wenig Arbeit wird ein überalterter Arbeitsmarkt mit (bislang) geringen Transformationschancen von traditionellen in moderne Wachstumsbranchen und somit Facharbeitermangel entstehen. Das dürfte besonders für die Klein- und Mittelbetriebe gravierende Einschränkung mit sich bringen, da diese im Gegensatz zu großen Unternehmen ihre Arbeitskräfte kaum überregional rekrutieren können. Von diesem Engpassfaktor wird besonders der als "Wachstumsmotor" geltende Dienstleistungssektor betroffen sein, denn aus der Industrieregion Ruhrgebiet ist schon lange eine Dienstleistungsregion geworden: Der Anteil der (sozialversicherungspflichtig) Beschäftigten des Produzierenden Gewerbes lag 2003 bei nur noch 22,9% und unterschritt nicht nur deutlich den Landesdurchschnitt (27,2%), sondern auch klassische Dienstleistungszentren wie Münster (28,4%) (Bosch/Nordhause-Janz 2005, S. 3).
Altersstrukturelle Abweichung des Ruhrgebiets von NW in 1998
Quelle: Klemmer 2001, S. 43
Bereits Ende der 1990er Jahre zeigt sich im Vergleich mit Nordrhein-Westfalen ein deutlicher Unterbesatz in den jüngeren Altersklassen der Personen im Erwerbsalter, dem ein Überbesatz in den höheren Altersklassen des Arbeitsmarktes entspricht. Die Abweichungen der 60-jährigen und älter nehmen nochmals massiv zu. In der Prognose bis zum Jahr 2015 wird das Defizit der Altersklassen zwischen 27 und 45 deutlich. Ihm entspricht ein hoher Überbesatz der 45 bis 57-jährigen (Klemmer 2001).
Abweichung der Altersstruktur des Ruhrgebiets 2015 von der Alterstruktur 1998
Quelle: Klemmer 2001, S. 43
Beschäftigungsentwicklung nach Hauptsektoren
Quelle: RVR 2006, S. 2
Hauptverliererbranchen im Dienstleistungsbereich von 2002 bis 2004 im Ruhrgebiet
Quelle: RVR 2006, S. 16
Seit einigen Jahren schrumpft nun aber dieser Motor des Arbeitsmarktes ebenfalls. Von 2002 bis 2004 gingen knapp 21.000 Arbeitsplätze im Dienstleistungsgewerbe verloren (RVR 2006, S. 16). Angeführt von Einzel- und Großhandel sowie Gaststättengewerbe, betrifft das überwiegend Frauenarbeitsplätze. Neben dem Überbesatz an Einzelhandel und entsprechenden Rationalisierungsbestrebungen dürften sich hier auch Nachfrageschrumpfungen im Zuge des Demografischen Wandels bemerkbar machen. Der Abbau im Produzierenden Gewerbe setzt sich dabei zwischen 1999 und 2004 ungebremst um fast 19% fort (a.a.O., S. 6). Nach wie vor können im gleichen Zeitraum die wenigen Wachstumsbranchen des Dienstleistungssektors (vor allem Unternehmensdienstleistungen: 22.000 Beschäftigte, Bildungswesen: 10.500, Gesundheitswesen: 7.800) den Verlust nicht annähernd kompensieren (a.a.O., S. 9).
3. Kommunalfinanzen
Bei schrumpfender Bevölkerung wirken manche kommunalen Infrastruktureinrichtungen wie ein "zu weiter Mantel", so z. B. Schulen und Kindergärten, Ver- und Entsorgungsleitungen. Der Bedarf an Anpassung und Umbau steigt im Demografischen Wandel. Die Kommunalfinanzen geraten dagegen weiter in die Krise (vgl. Loeffelholz / Rappen 2002, Junkernheinrich/Micosatt 2005, Mäding 2004). Das alterspezifische Kostenprofil auf kommunaler Ebene zeigt erwartungsgemäß, dass der Pro-Kopf-Aufwand im Ruhestand, also der stärkst wachsenden Alterklasse, steigt. Die eher geringfügige Entlastung, die bei geringer werdenden Kinderzahlen durch niedrigere Pro-Kopf-Kosten im Vorschulalter entsteht, kann diesen Kostenfaktor nicht annähernd kompensieren.

Darstellung der Altersstruktur-Kostenprofile nach staatlichen Ebenen
Quelle: Autorenteam, verändert nach Bauer, Büchner, Gründel 2006, S. 61
Bei den Finanzzuweisungen werden 2015 den Ruhrgebietskommunen jährlich 150 Mio. Euro fehlen. Die Unterhaltungskosten der Infrastruktur steigen dabei pro Kopf. Während die Punktinfrastruktur noch relativ leicht umzunutzen ist (etwa Schulen zu Altenpflegeheimen), sind bei der Netzinfrastruktur (z.B. Wasserver- und -entsorgung, ÖPNV) im Falle einer Ausdünnung der Nachfrage keine (oder nur langfristige und kostspielige) Anpassungsmöglichkeiten gegeben. Steigende Gebühren müssen die Folge sein, die Standortqualität mindert sich. M. Koziol weist auf gravierende, langfristig wirksame stadtstrukturelle Veränderungsprozesse und entsprechenden Umbaubedarf hin. Untersucht werden kritische Schwellenwerte für die Auslastung im schienengebundenen Öffentlichen Nahverkehr, in der Trinkwasser- und Abwasserversorgung (Wiederverkeimung, Korrosionsgefahr durch Unterschreitung von Mindestfließgeschwindigkeiten) und Fernwärmeversorgung (Koziol 2004, S. 70ff).

Der Rückgang der Finanzzuweisungen im Rahmen der Finanzierungsausgleichs, der sich an Einwohnerzahlen orientiert, wird die kommunale Finanzsituation weiter verschärfen: Bis 2015 prognostiziert das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) dem Ruhrgebiet einen Rückgang des regionalen Einkommenssteueraufkommens von 3,8% (NRW: +1,8%). Im kommunalen Finanzausgleich kostet der Einwohnerrückgang die Ruhrgebietsgemeinden etwa 138 Mio. Euro jährlich an Schlüsselzuweisungen (Loeffelholz / Rappen 2002, IV).
Titelseite Kommunalfinanzbericht Ruhrgebiet 2004
Quelle: Titelseite Kommunalfinanzbericht Ruhrgebiet 2004
War der Kommunalfinanzbericht des Ruhrgebietes für das Jahr 2003 im Untertitel noch überschrieben mit "Endgültiger Absturz oder Reformwende?" (Junkernheinrich / Micosatt 2003), so liest sich der des Jahres 2004 bereits deutlicher: "Nichts geht mehr ? aber wie lange noch?" (Junkernheinrich / Micosatt 2004). Im Jahre 2004 sind im Ruhrgebiet die höchsten Haushaltsdefizite der Nachkriegszeit zu verzeichnen. Mit 1,44 Mrd. Euro waren sie doppelt so hoch wie 2002. Allein von 2000 bis 2003 macht der Schuldenzuwachs im Kernruhrgebiet 864 Euro pro Einwohner aus.
Kumulierte Finanzierungssalden und Schuldenzuwachs in den Jahren 2000 bis 2003
Quelle: Junkernheinrich/Micosatt 2004, o. S.
Die Schere zwischen den massiven Einnahmeverlusten und dem Ausgabenzuwachs hat sich erneut weiter geöffnet. Dem entspricht eine Steigerung des Verschuldungszuwachses zwischen 1999 und 2004 von rund 40%. Damit muss die Konsolidierung der Kommunalfinanzen des Ruhrgebiets als gescheitert angesehen werden. Das aber heißt auch, dass das gegenwärtige Leistungsniveau der Ruhrgebietsgemeinden unter diesen Bedingungen in Zukunft nicht aufrechterhalten werden kann (Junkernheinrich/Micosatt 2004, o. S., Vorwort).

Das Beispiel der Gewerbe- und Einkommenssteuern mag das verdeutlichen (vgl. Junkernheinrich/Micosatt 2004, S. 13 ff.). Die Einnahmen des Jahres 2003 blieben preisbereinigt unter dem Pro-Kopf-Niveau von 1991. Die kreisfreien Städte sind wegen ihrer ungünstigeren Einwohnerentwicklung von dieser Dynamik erheblich stärker betroffen als die Umlandgemeinden. Das überdurchschnittliche Ausgabenwachstum der kreisfreien Städte hat bei rückläufiger Bevölkerung und sinkenden Einnahmen also eine sehr problematische Dynamik zur Folge.

Hinzu kommt ein Sonderproblem: Die kommunalen Ausgaben für den Infrastrukturausbau sind lange Zeit kontinuierlich gesenkt worden, da sie als Einsparpotenzial eingesetzt wurden. Die Investitionen der Ruhrgebietskommunen haben sich laut dem ehemaligen Landesbauminister Wittke in den zwölf Jahren vor 2005 nahezu halbiert auf 3,4 Mrd. Euro (WAZ 13. 01. 2006). Er fordert die Städte auf, weniger in Neubauten als in die Bestandserhaltung zu investieren. Das Niveau der kommunalen Sachinvestitionen lag im Ruhrgebiet im Jahr 2003 mit 168 Euro pro Kopf deutlich unter dem Niveau des übrigen NRW mit 200 Euro (a.a.O.). Die zeitliche Verlagerung bzw. Streckung der infrastrukturellen Erhaltungs- oder Ausbaumaßnahmen bedeutet aber nichts anderes als deren qualitative Auszehrung mit erheblichen Risiken für den Wohn- und Freizeitwert, besonders auch für die unternehmerische Standortqualität. Überdies lässt die Tatsache, dass die Veräußerung von kommunalen Werten in den letzten Jahren stark abgenommen hat, darauf schließen, dass auch dieses Konsolidierungspotenzial absehbar an sein Ende kommen wird.

Gegenüber wachstumsstärkeren Regionen wie z.B. dem Rheinland koppelt sich das Ruhrgebiet ab, obgleich gerade hier im Sinne eines "Wettbewerbs zwischen den Regionen" ein viel größeres Maß an Infrastrukturinvestitionen erforderlich wäre. Durch den Mangel an Eigenmitteln entgehen dem Ruhrgebiet zusätzlich sogar auch die eigenmittelabhängigen Investitionszulagen und Fördergelder.

Die Ausgaben für Sozialleistungen stellen traditionell für die Ruhrgebietskommunen eine große und allein im Jahr 2004 mit über 10% gestiegene Belastung dar. Sie lagen erheblich über dem Niveau der Vergleichsräume. Die Ruhrgebietskommunen haben in den fünf Jahren 1999 bis 2003 allein 3 Mrd. Euro an Defiziten gemacht und dabei einen dramatischen Zuwachs der kurzfristigen Kreditaufnahme von 266 % in Kauf genommen. Der gesamte Verschuldungszuwachs von knapp 43% in den Kernstädten, das Tempo der Zunahme und die abnehmende sozioökonomische und wirtschaftliche Steuerkraft hat zur Unfähigkeit der Rückzahlung geführt. Das Ruhrgebiet verzeichnete 1999 bis 2003 den geringsten Zuwachs des Bruttosozialprodukts in NRW, der mit 1,5% auf dem Niveau von Ostdeutschland lag. Andere Indikatoren, wie die niedrige Erwerbsdichte, das geringe Bruttoinlandsprodukt und das geringe verfügbare Einkommen liegen unter dem Durchschnitt des ländlichen Raumes im übrigen NRW (Junkernheinrich/Micosatt 2004, S. 17).

Das Verschuldungsvolumen betrug 2003 das Vierfache der Steuereinnahmen. "Haushaltssicherungskonzepte sind zur Dauereinrichtung geworden" (a.a.O., S. 15). Vor diesem Hintergrund sind zwei Argumente ernst zu nehmen: Die demographische und ökonomische Entwicklung hat eine fiskalische Krise zur Folge, deren Lösung - die heute noch unbekannt ist - eine Generationenaufgabe sein wird. Die strukturelle Ähnlichkeiten mit ostdeutschen Gemeinden lässt auch die Frage zu, ob der Solidarbeitrag in Höhe von 1,99 Mrd. Euro, den die kreisfreien Städte des Ruhrgebiets bis 2004 an die ostdeutschen Kommunen bezahlt haben, nicht überdacht werden sollte. Der Weg aus der Verschuldungsfalle könnte sich andernfalls als ein Mehrgenerationenproblem erweisen. So manche Gemeinde, darunter auch Oberhausen und Duisburg (2009), müssten Insolvenz anmelden, wenn sie den Regeln des Marktes unterlägen.

Den Kommunen ist die Aufrechterhaltung des vergleichsweise guten und engmaschigen infrastrukturellen Versorgungsnetzes - trotz steigender Pro-Kopf-Belastungen - nicht mehr möglich. Die Wege der Feuerwehr und Polizei, der Bevölkerung zu Ämtern, Schulen, Krankenhäusern, werden weiter werden. Es dürfte keine Alternative dazu geben, die Pflichtaufgaben und auch die Qualitätsstandards der verbleibenden Aufgaben zu reduzieren (a.a.O., S. 16). Aber die Ausgaben für die soziale Grundsicherung (wegen sinkender Renten), für Jugendhilfe, Hilfe zur Pflege und Eingliederungshilfe Behinderter wachsen beständig. Hier zu sparen, hieße, die Gefahr der sozialen Polarisierung und sozialräumlichen Destabilsierung zu verstärken. Auch darf nicht vernachlässigt werden, dass die kommunalen Haushalte wichtige Motoren der lokalen und regionalen Wirtschaft sind. Eine entsprechende Reduzierung der Ausgaben wird negative Multiplikatorwirkungen zeitigen und weiteren Arbeitsplatz-, Kaufkraft- und Bevölkerungsverlust bedeuten (s. u.).

Wohnungsmarkt und Haushaltsstrukturen

Die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt ist einerseits eng verbunden mit dem Ersatzbedarf nicht mehr marktfähigen Wohnraums, z.B. bei zu kleinen Zuschnitten, nicht akzeptierter Lage- und Ausstattungsqualität und negativen Standortimage. Andererseits steigen die Ansprüche an die Qualität. Als besonders relevanter Faktor nimmt die Zahl der Ein- und Zweipersonenhaushalte zu. Die Zahl der Haushalte wird in Nordrhein-Westfalen bis 2015 trotz rückläufiger Bevölkerung um über 4% zunehmen (Danielzyk 2003, S. 9). Das scheinbare Paradox, dass bei abnehmender Bevölkerung die relative Nachfrage nach Wohnraum sowohl qualitativ (Lage, Ausstattung) als auch quantitativ steigt, wird deutlich am Beispiel Nordrhein-Westfalens.
Entwicklung der Privathaushalte NRW 2005 - 2025 nach Größenklassen
Quelle: Grüber-Töpfer, Kamp-Murböck, Mielke 2007, S. 27
Prognostizierte Bevölkerungs- Haushaltsentwicklung in ausgewählten Wohnungsmarktregionen in NRW 2000 bis 2015 in %
Quelle: Danielzyk in ILS 2003, S.11
Wenn auch in der Mehrheit der kreisfreien Städte und Kreise des Ruhrgebiets Bevölkerung und Haushaltsanzahl insgesamt zwischen 2005 und 2025 zwar abnehmen werden, so ist für den Wohnungsmarkt bedeutsam, dass die Zahl der Einpersonenhaushalte zunehmen wird.

Typologie der Entwicklung der Einpersonen-Haushalte in NRW 2005 - 2025
S: Schrumpfend, W: Wachsend

Quelle: Grüber-Töpfer, Kamp-Murböck, Mielke 2007, S. 27
Hier sind im Ruhrgebiet aus zwei Gründen erhebliche Verlagerungen der Wohnortpräferenzen zu erwarten: Ein-, aber auch Zweipersonenhaushalte (Typus "Double Income No Kids") ziehen allgemein aufgrund ihrer Lebensstile innenstadtnahe Standorte vor. Gerade solche Standorte können besonders im Ruhrgebiet in den umfangreichen Stahl-, Zechen- und Bahnbrachen (Güterbahnhöfe) angeboten werden. Derartige Reurbanisierungspotenziale der großen Kernstädte werden im Kampf um Kauf- und Steuerkraft der abnehmenden Bevölkerungszahlen eine neue Variante darstellen. Schließlich favorisieren auch junge Familien der Mittelschicht - die Träge der klassischen Suburbanisierung - derartige Lagen, da durch entsprechende Mischnutzungen auf Innenstadt nahen Brachen die Qualitäten aus Suburbia in die Kernstädte hineingeholt werden können. Solche Mischflächen mit anspruchsvollem Wohnen, Freiraum , Grün- und Wasserflächen - kurz: mit attraktiver postindustrieller Stadtnatur - dürften Standortimage sowie Attraktivität für Investoren aufwerten, möglicherweise auf die Nachbarflächen ausstrahlen und für weitere Nutzungen interessant werden.

"Freiraum schafft Stadtraum" lautet denn auch eine der Kernthesen der aktuellen Stadtentwicklung (Kipar 2003, S. 21ff). Ob dieser Trend verstärkt durch die Reurbanisierung mehr als nur eine Milderung der kernstädtischen Schrumpfungstendenzen bewirken kann, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall werden sich die Probleme in Suburbia verstärken, die mit den neuen demografisch bedingten Herausforderungen entstehen: Umbau, Rückbau und Auslastung der Infrastruktur, aber auch die verminderte Qualität der Nahversorgung, der Mobilität des (sich ausdünnenden) ÖPNV, die ungünstigere Erreichbarkeit von Schulen, Kindergärten, Sozialeinrichtungen (Jugendtreffs, Bürgerzentren,...) und andere Probleme der Netzinfrastruktur dürften die einstige Attraktivität des suburbanen Raumes schmälern.

Hier wie da werden die Kosten des Stadtumbaus erheblich sein, die Situation der Kommunalfinanzen auch mit den Spritzen aus dem Konjunkturprogramm Anfang 2009 prekär bleiben. Verstärkter Konkurrenzkampf um bestandserhaltende oder Wachstumsressourcen, teilweise mit innovativen Strategien ausgetragen (s. u.) - wird weiterhin zum Tagesgeschäft der Kommunalpolitik gehören. Während diese Konkurrenz um die attraktivsten Stadtumbau-Ideen sicherlich eine der wichtigen entwicklungsfördernden Komponenten der Stadtpolitik ausmacht, könnte die auf regionaler Ebene zunehmend bedeutsamen interkommunale Kooperation dabei einmal mehr aus dem Blick geraten (vgl. Thema "Metropole Ruhr").
Kumulativ negative Selbstverstärkung
Quelle: Butzin 1987, S. 312
Gefährdungspotenzial Selbstverstärkung

Fasst man die Gefährdungspotenziale zusammen, die aus den Wirkungen des Demografischen Wandels in Wechselwirkung mit dem Arbeitsplatzverlust erwachsen, so drängt sich die Gefahr eines sich selbst erhaltenden "Circulus vitiosus" auf. Bevölkerungs-, Arbeitsplatz-, Kauf- und Steuerkraftverlust verknüpfen sich zu einem schwer lösbaren Problembündel, das alle Anzeichen eines "kumulativ negativen Verursachungsprozesses" zeigt (Butzin 1987).