Die vorindustrielle Phase im Ruhrgebiet

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts spielte das Ruhrgebiet als Erzeuger von Eisen für die deutsche Industrie nur eine untergeordnete Rolle. Der Schwerpunkt des Eisenhüttenwesens lag damals in Südwestfalen. 1850 lag der Anteil an der Roheisenerzeugung des Ruhrgebietes bei nur 5 % des späteren Deutschen Reiches. Eisenerzvorkommen, Holzkohle und Wasser waren notwendige Produktionsfaktoren der Eisenindustrie und bestimmten die Standorte der Hütten. Das Eisenerz wurde vorwiegend am Ort der Gewinnung verarbeitet, da die zur Schmelze eingesetzte Holzkohle wegen hoher Brüchigkeit und des hohen Transportgewichtes über längere Entfernung nicht transportfähig war.

Bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden im Raum Oberhausen drei große Eisenhütten: die St. Antony-Hütte, die Eisenhütte zur Gutenhoffnung und die Eisenhütte Neu-Essen. Diese drei Hütten bildeten die vorindustrielle Basis für die Eisen- und Stahlindustrie.

Während sich die Erzbasis des Ruhrgebietes schnell als zu schmal erwies, verfügte das Revier in ausreichendem Maße über Kohle. Die Eisen- und Stahlindustrie konnte sich in großem Maßstab aber erst entwickeln, als es Ende der 1830er Jahre gelungen war, die unter der Mergelschicht liegende Fettkohle zu gewinnen, die für die Erzeugung von Steinkohlenkoks geeignet ist. Bis dahin war im Ruhrgebiet das Eisen noch auf der Basis von Holzkohle erzeugt worden.

Der erste Kokshochofen wurde 1850 in Mülheim auf der Friedrich-Wilhelms Hütte in Betrieb genommen. Da auch der Koks wegen seiner Weichheit und seines Gewichtes nicht über weite Strecken transportiert werden konnte und zudem in den 1850er Jahren etwa 10 t Kohle je Tonne Eisen benötigt wurden, war der direkte Zugang zur Kohle der entscheidende Faktor für die Wahl des Standortes.

Auch konnte die Eisen- und Stahlindustrie große Teile ihrer Produktion in unmittelbarer Nähe absetzen. Neben dem Steinkohlenbergbau, der für den Ausbau der Anlagen große Mengen an Eisen- und Stahlerzeugnissen benötigte, waren vor allem die Eisenbahn und Bauindustrie wichtiger Abnehmer der Produkte. Beim Absatz in weiter entfernt liegende Gebiete erwies sich die verkehrsgünstige Lage des Ruhrgebietes am Rhein und an den Eisenbahnlinien als vorteilhaft.

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Stahlwerke im gesamten Ruhrgebiet etabliert. Im westlichen Teil konzentrierten sie sich auf den Raum Duisburg - Oberhausen, im östlichen auf Dortmund. Im mittleren Ruhrgebiet verteilten sie sich von Mülheim im Westen bis Bochum im Osten und von Gelsenkirchen im Norden bis Sprockhövel-Haßlinghausen im Süden.

Die Erzeugung von Stahl lag bis 1855 überwiegend im westlichen und im östlichen Teil des Ruhrgebietes. Im folgenden Jahrzehnt nahm sie auch im mittleren Teil stark zu. Die Walzwerke bildeten größtenteils mit Puddelwerken eine betriebliche Einheit, daher nahmen die Stahl- und Walzwerke eine ähnliche Standortverteilung ein.

Die Schwerpunktverlagerung der Roheisenproduktion begann in den 1860er Jahren und vollzog sich vom mittleren Teil des Ruhrgebietes nach Westen. Denn die regionalen Erzvorräte waren erschöpft und die Eisenindustrie der Region suchte eine bessere Verkehrslage, in der Erze preiswert herangeschafft werden konnten. Im östlichen Teil wurden die Betriebe jedoch weiter ausgebaut.
Werkshafen Duisburg-Schwelgern der ThyssenKrupp Stahl AG
Quelle: Verein Deutscher Eisenhüttenleute Wirtschaftsvereinigung Stahl 1999, S. 32, Copyright 2000 Verlag Stahleisen GmbH, Düsseldorf, Germany
Da im Verlauf der technologischen Entwicklung immer weniger Kohle bzw. Koks zum Erschmelzen des Stahls erforderlich war (s. Thema Verbundwirtschaft der Montanindustrie), verlagerten sich die Hochofenanlagen nach und nach weg vom Standort "auf der Kohle" und zogen Küstenstandorte ("Nasse Hüttenwerke") vor. Die Werke an der Küste besaßen kostengünstigere Transportwege für das Übersee-Erz.

Auch im Ruhrgebiet setzte ein Standortverlagerungs-Prozess der Hüttenwerke "zum Wasser" ein. Er führte zu einer Konzentration an der so genannten "Rheinschiene" in Duisburg. Hier stehen nicht nur Europas modernste Hüttenwerke (ThyssenKrupp in Duisburg-Schwelgern), sondern auch in unmittelbarer Nähe die Weiterverarbeitungsanlagen zu Stahl und Stahlprodukten: Die Gießwalzanlage in Duisburg-Bruckhausen und das Kaltwalzwerk in Duisburg-Beeckerwerth sind heute hochautomatisierte und fast menschenleere High-Tech-Betriebe (s. Thema Umbau der Konzerne).
Eisenerztransport von Rotterdam nach Duisburg
Quelle: RVR/Blossey