Phase 4 - Nachhaltige Flächen- und Stadtentwicklung?

Die Phase der "Nachhaltigen Stadtentwicklung" ist etwa Mitte der 1990er Jahre anzusetzen. Sie steht zunächst unter ökologischen Vorzeichen der Ressourcen- und Flächenschonung, wobei u.a. die Umnutzung von (ehemaligen) Industrie- und Verkehrsflächen im Vordergrund stehen (in Zukunft vielleicht auch die von Wohnungsflächen).

Später wird diese Orientierung an der ökologischen Dimension erweitert um Konzepte einer "Integrierten Stadtentwicklung", da im Zuge der Globalisierung und neoliberalen stadtökonomischen Modernisierung nicht nur zwischen Nord- und Süd-Hemisphäre, Zentrum und Peripherie, sondern auch innerhalb von Städten eine zunehmende Diskrepanz zwischen Gewinnern und Verlierern beobachtbar ist. Eine Spaltung der Stadt droht. Impulse zur Erneuerung von Stadtteilen betonen daher gerade die Integration von ökonomischen und sozialen Belangen (z.B. das "Integrierte Handlungsprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" von 1993 (vgl. MASSKS 1998)).
Rahmenbedingungen der Flächen- und Stadtentwicklung
Quelle: Autorenteam
Ehemalige Zechen bildeten den Mittelpunkt und das "Herz" vieler Siedlungen
Quelle: RVR-Geodatenserver
Im Ruhrgebiet sind derartige Sachverhalte nicht selten mit der Stilllegung von Bergwerken oder Standorten der Stahlindustrie verbunden. Der einstige Arbeits- und Lebensmittelpunkt des Stadtteils, sein "Herz", geht mit der Zechen- oder Werksschließung verloren. Dessen Stelle nimmt danach oftmals eine durch chemische und bauliche Altlasten durchsetzte, funktionslose, teils kontaminierte Brachfläche ein. Dem Stadtteil und seiner Bevölkerung droht Marginalisierung.

Andererseits bieten eben diese Brachflächen eine "Jahrhundertchance der Stadterneuerung". Das gilt für den Stadtteil wie auch - in der Summe dieser Flächen - für die ganze Stadt. In aller Regel liegen derartige Flächen inmitten dicht bebauter, städtebaulich nicht selten sehr wertvoller Viertel.
Die sieben Dimensionen der Nachhaltigkeit
Die sieben Dimensionen der Nachhaltigkeit
Quelle: R. Pahs
Die (Wieder-)Nutzbarmachung (Umnutzung bzw. Flächenrecycling) solcher Areale bildet einen wesentlichen Baustein der sog. "Innenentwicklung". Sie erfüllt zunächst bereits eine wesentliche Forderung der Nachhaltigkeit , indem sie ressourcen-, d.h. hier flächenschonend anstelle des flächenverbrauchenden Zersiedlungsprozesses im suburbanen Raum auf die Umnutzung und Aufwertung inner- oder randstädtischer Flächen setzt. Das allein aber reicht nicht aus: Weitere Inhaltselemente des Nachhaltigkeitskonzepts müssen berücksichtigt werden (vgl. hierzu das Dokument im Download).
Für Belange des nachhaltigen Brachflächen-Recyclings erscheinen die Ansätze (siehe Vertiefung) und Definitionen (siehe Glossar) der Nachhaltigkeit aber unzureichend (Butzin/Franz/Kogelheide 2003): Die drei klassischen Dimensionen der Ökologie, Ökonomie und des Sozialen müssen zunächst um die im Brundtland-Bericht dominierende zeitliche (Langfrist-) Dimension ergänzt werden.

Überdies aber ist für städtebauliche Belange die räumliche - hier die regionale - Dimension unverzichtbar: Die Zielkonflikte zwischen den drei Interessens-Sphären sind häufig nicht auf einem einzigen Standort oder in einem einzigen Projekt zu lösen, sondern bedürfen verhandelbarer Ausgleichsflächen: Wo ökonomische Belange (z.B. Arbeitsplätze, Gewerbeflächen, Technologiezentren usw.) oberste Priorität genießen, werden es ökologische Erfordernisse schwer haben, sich anders als nur auf einem Minimalnenner durchzusetzen. Hier könnte es sinnvoll sein, ökologische Ausgleichsfunktionen an anderen Standorten der (Stadt-)Region auszuhandeln und zu garantieren.

Wie aber kann ein derartiger standortübergreifender und zeitlich längerfristiger Kompromiss Geltung erlangen? Hierfür kann nur eine langfristig und regional verbindliche Steuerungsfunktion verantwortlich sein. Sie macht den Kern der institutionellen Dimension aus. Überdies hat eine derartige Institution aber auch die Aufgabe einer neutralen Mediation, so etwa die Beteiligungsstruktur und den Kommunikationsprozess professionell zu gestalten.

Ohne Zweifel hat auch das Programm der IBA Emscher Park wesentliche Aspekte der Nachhaltigkeit eingeführt und umgesetzt. Erinnert sei an die Projekte zur Emscher-Renaturierung (s. Thema "Natur und Stadt"), an Siedlungsmodernisierung unter Berücksichtigung der Regenwasserversickerung, an partizipatorische Ansätze im Wohnungsbau ("Frauen bauen") und den Einsatz von alternativen Energien (Fortbildungsakademie Mont Cenis in Herne, Wissenschaftspark Rheinelbe in Gelsenkirchen (s. Thema "Wohnen und Bauen").

Der Blick auf die Realität der Flächenumnutzung im Ruhrgebiet zeigt unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten eine Reihe von mehr oder minder gelungenen Projekten. Sie genügen allerdings in aller Regel nur einzelnen Aspekten des Nachhaltigkeitskonzepts.
"Selber bauen": Ein Beispiel der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit
Quelle: Autorenteam
Integration von Stadtteilzentrum und Akademie?
Quelle: Autorenteam
So kann die Fortbildungsakademie des Landes NRW in Herne-Sodingen durchaus eine Leuchtturm-Funktion für sich beanspruchen (s. Thema "Stadtentwicklung"). Ein Muster bautechnischer Nachhaltigkeit, die von der "Klimahülle" (Haus-in-Haus-Architektur) über recyclingfähiges Baumaterial (Holz, Beton, Glas) bis zur Nutzung von Solarenergie und Metangas ("Grubengas") für die Beheizung reicht. Aber die lokale Bevölkerung ist kaum eingebunden. Die breiten Treppen, die den Stadtteil mit dem Gebäude verbinden, werden bereits von der Vegetation zurückerobert. Das Gebäude ist ab 18 Uhr und an Wochenenden in der Regel geschlossen. Ob damit das Ziel einer Stadtteil-Erneuerung als erreicht gelten darf?
Das Stadtteilbüro in Gelsenkirchen-Bismarck: Institutionalisierung der "Lokalen Ökonomie"
Quelle: Autorenteam
Ein anderes Beispiel ist Gelsenkirchen-Bismarck: Gut funktionierende und institutionalisierte (Stadtteilbüro) lokale Beteiligungsprozesse haben ein Musterbeispiel der "Lokalen Ökonomie" entstehen lassen: Neue Arbeitsplätze, (selbstentworfene) Freizeiteinrichtungen, Kulturstätten und zivilgesellschaftliche Mitverantwortung scheinen solide in der Quartiersbevölkerung verankert zu sein. Stadt- oder regionalökonomische Effekte waren dabei aber eher kein oder nur ein indirektes Ziel (z.B. in Form von sozialem Frieden, Konflikt-Armut, Selbsthilfe-Potenzial und anderen Standort-Gunstfaktoren).
Die "Good-Practice" - Beispiele aus dem Ruhrgebiet ließen sich fortsetzen. Ein Projekt-Beispiel der "Best Practice" aber findet sich nicht. Ist das (Ideal-)Modell der "nachhaltigen Brachflächen-Umnutzung" mit seinen sechs Kernelementen vielleicht zu komplex und in der Praxis nicht umzusetzen? Umso wichtiger erscheint vor diesem Erfahrungshintergrund die Kompensation einzelner Dimensionen im gesamtregionalen und zeitlich längerfristigen Kontext.