Neo-Industrialisierung und Innovationspotenzial

Wie vorangehend erwähnt wurde, verweist die räumliche Differenzierung, d.h. die Auflösung der altindustriellen, wirtschaftsstrukturellen Regionseinheit Ruhrgebiet ohne Alternative auf neue Ansätze der sektoralen und räumlichen Integration. Die Notwendigkeit einer derartigen wirtschaftsstrukturellen und wirtschaftspolitischen Integration wird umso deutlicher, als sich Strukturdefizite in einigen wichtigen Zukunftspotenzialen, d.h. in der Innovationsfähigkeit, dem Gründungswesen und dem Besatz mit Forschungs- und Entwicklungspersonal, eingestellt haben.
Im Ruhrgebiet liegt die Zahl der Patentanmeldungen im Jahr 1999 mit 45 Anmeldungen pro 100.000 Einwohnern um gut 22 % unter dem Bundesdurchschnitt (58) (und gut 57 % unter der von Baden-Württemberg, 105 Patente). Hierin - wie auch in den Indikatoren der erheblichen Besatzmängel an Selbstständigen und Unternehmensgründungen sowie im FuE-Besatz - zeigt sich in aller Deutlichkeit, dass die Erblasten der monostrukturellen Montan-Ära noch immer nicht bewältigt sind (Quelle: Kaltenborn 2001, S. 6 ).
Der Anteil der Unternehmensgründer (8) pro Jahr und pro 100 Einwohner unterschreitet den Bundesdurchschnitt (9,1) um 12 % und erreicht im europäischen Vergleich nur etwa die Hälfte von Schweden und den Niederlanden (o.V. Transfer 2001, S. 6f.). Der OECD-Durchschnitt (12,5) liegt um etwa ein Drittel höher. Auch bei der Quote der Selbstständigen bildet das Ruhrgebiet mit 7 % gegenüber bundesweiten 9 % das Schlusslicht (Kaltenborn 2001, S. 6).
Auch bei diesem Indikator lassen sich große innerregionale Unterschiede im Ruhrgebiet erkennen, wobei die andersartige Bezugsbasis zu berücksichtigen ist. Die Gründungsintensität reicht von etwa 7,6 Gründungen pro 1.000 Erwerbsfähige in Herne über den Durchschnitt des Ruhrgebietes von knapp 10 bis nach Essen und Mülheim an der Ruhr mit über 11 Gründungen im Jahr 2000. Dabei sind die Überlebenswahrscheinlichkeiten von Branche zu Branche verschieden, insgesamt aber in Köln, Düsseldorf oder Münster "erheblich günstiger" (KVR 2002b, S. 62).

Angesichts dieses Defizits stellt sich erneut die Frage, ob die Gewichtung zwischen den Milliarden an Kohlesubventionen und den "gerade mal 10,5 Mio. Mark im Jahr" für die Gründungsförderung (1999) nicht überdacht werden muss (Kaltenborn 2001, S. 6).
Grundintensitäten im Ruhrgebiet: Gewerbeneueinrichtungen je 10.000 Erwerbsfähige
Quelle: KVR 2002b, S. 62
Bedenklich sind die Besatzdefizite des Ruhrgebiets im Forschungs- und Entwicklungspersonal (FuE) des Produzierenden Gewerbes. Mit nur 9,8 pro 1.000 Beschäftigten wies die Wirtschaft NRWs im Jahr 2001 über das 2,5-fache (26,3) auf, die alten Länder im Durchschnitt den vierfachen Besatz (39,9 pro 1000) und Köln gar das Sechsfache (59,8) auf.

Diese massiven Innovationsdefizite stehen in engem Zusammenhang mit der enorm hohen Abwanderung von Hochschulabsolventen und anderer qualifizierter Arbeitskräfte, die ihre Ursachen nicht nur, aber auch in der mangelnden regionalen Nachfrage der Unternehmen haben dürfte. Dieser Sachverhalt macht den "bedrohlichsten Trend" aus, mit dem das Ruhrgebiet gegenwärtig zu kämpfen hat (Lehner 2002, S. 33).
Im Kontext der alten Bundesländer lassen sich Internationalisierungs- bzw. Globalisierungswirkungen sowohl unter den Großkonzernen als auch beim Mittelstand, wenn auch hier nur bei 10 - 12 % dieser Größenklasse, erkennen. Als Beispiele bieten sich die jüngeren Technologiegenerationen an. So hat die Einfuhr von Zulieferungen aus dem Ausland im Straßenfahrzeugbau von 1978 bis 1991 um 307 %, im Bereich der Elektronik-Industrie um 259 % und im - vornehmlich mittelständischen - Maschinenbau immerhin um 139 % zugenommen (Präsident des Landtags NRW 1998, S. 141).