Des-Industrialisierung

Dieser Prozess meint im Wesentlichen den montanindustriellen, besonders kohlebezogenen Beschäftigungsabbau (anglophon: "De-Industrialisierung"). Obwohl der Anteil der Bergleute im Jahr 2000 nur noch ca. 2,5 % aller Beschäftigten (39.000 Personen) ausmacht - das entspricht etwa dem Anteil des KFZ-Handels einschl. Reparaturgewerbe -, ist der Rückzug der Kohle bis heute nicht abgeschlossen (s. Thema "Krise des Montansektors"): Schließungen von Bergwerken und Standortkonzentrationen stehen auch weiterhin bevor.
Steinkohlebergbau im Ruhrgebiet
Quelle: RVR-Datenbank
Zwischen 1960 und 2001 haben sich die Beschäftigten im Bergbau auf gut ein Zehntel (49.000, d.h. 12,6 %) des Bestandes von 1960 (390.000), die Fördermengen auf fast ein Sechstel (1960: 115,4 Mio. t.; 2001: 20,0 Mio. t) reduziert. Nicht ganz diesem radikalen Abbau entsprechend geht die Beschäftigtenzahl der Eisen- und Stahlerzeugenden Industrie im gleichen Zeitraum auf ein Fünftel zurück. Die Stahlproduktion fällt nach ihrem Höhepunkt im Jahr 1973 (140 %) gegenüber 1960 auf 80 % zurück.

Dabei wird leicht übersehen, dass der Rückzugsprozess des Bergbaus ein viel älteres Phänomen ist: 1922 wurden 545.000 Bergbaubeschäftigte gezählt. 1960 "nur" noch 390.000. Jedoch konnte dieser Abbau leicht "vor Ort", u.a. von der expandierenden Eisen-/Stahlbanche, in den 1960er Jahren von dem Elektro- (Zweigwerke wie Grundig/Nokia, Blaupunkt), Chemie- und Autosektor (Opel) aufgefangen werden.

Dabei muss man berücksichtigen, dass von jedem Bergwerks-Arbeitsplatz - ähnlich auch im Stahlbereich - zwischen früher zwei, heute 1,3 weitere Arbeitsplätze im Bereich der vor- und nachgelagerten Glieder der Produktionskette (Zulieferer, Abnehmer, Verkehr, Wartung, FuE, ... ) und der personenbezogenen Dienstleistungen (Handel, Kultur-/Freizeitwirtschaft, ...) abhängen. So wird leicht verständlich, dass diese "Des-Industrialisierung" nicht nur unmittelbar die Entfaltung der Dienstleistungsbranchen schwächte, sondern darüber hinaus alle Teilbereiche der regionalen Gesellschaft durchdringen musste: z.B. in Form hoher Arbeitslosigkeit und damit extrem belasteter Kommunalhaushalte, umfangreicher industrieller Brachflächen, aber auch als ein sich verfestigendes Negativimage.
Bedeutungsverlust des Montansektors: Entwicklung der Zahl der Montanbeschäftigten im Ruhrgebiet
Quelle: RVR-Datenbank
Beschäftigtenentwicklung im Produzierenden Gewerbe
Beschäftigtenentwicklung im Produzierenden Gewerbe
Quelle: Helmstädter/Lehner/Nordhause-Janz 2000, S. 12
Wenn man die Beschäftigungsentwicklung des Ruhrgebietes und Nordrhein-Westfalens ohne Ruhrgebiet in Bezug zum Durchschnitt der Bundesrepublik (West, ohne NRW) misst, sind strukturelle und dynamische Defizite unübersehbar (Helmstädter, Lehner, Nordhause-Janz 2000). Das Ruhrgebiet weist in seinem Anteilswert des Produzierenden Sektors von 1976 bis 1998 einen gradlinigen Abwärtstrend auf. Der Prozentwert der Industriebeschäftigten liegt inzwischen unter dem des sonstigen NRW.
Beschäftigtenentwicklung in den Dienstleistungen
Beschäftigtenentwicklung in den Dienstleistungen
Quelle: Helmstädter/Lehner/Nordhause-Janz 2000, S. 13
Bemerkenswert ist, dass im Ruhrgebiet auch der Prozentwert der Dienstleistungen gegenüber dem restlichen Deutschland (d.h. ohne NRW) bis Mitte der 1990er Jahre stark abnimmt. Der "Trend zur Dienstleistungsgesellschaft" besteht also nur außerordentlich "gebremst" und als statistisches Phänomen in Bezug auf den noch stärkeren Verlust des Produzierenden Gewerbes (wenngleich die Beschäftigtenzahl im Tertiären Sektor absolut leicht zunimmt, s.o.).
Anteil der Montanbeschäftigten an allen Beschäftigten 1997
Quelle: RVR-Datenbank
Dies steht im Gegensatz zum restlichen NRW, das in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre einen erheblichen Gewinn gegenüber dem übrigen Westdeutschland verzeichnen konnte. Erst mit einem Jahrzehnt Verspätung, ab Mitte der 1990er Jahre, lässt sich auch im Ruhrgebiet eine (ungleich bescheidenere) Trendwende erkennen, der Prozentwert der Dienstleistungs-Beschäftigten nimmt nun gegenüber dem restlichen Bundesgebiet geringfügig zu.

Diese Tendenzen vollziehen sich mit erheblichen Unterschieden innerhalb des Ruhrgebietes. Einzig Oberhausen hat mit einem unter 5 % liegenden Besatz an Montanbeschäftigten diesen Teil des sektoralen Strukturwandels geschafft, während sich Duisburg als Stahlstandort, aber auch Gelsenkirchen, Hagen und Hamm mit Besatzziffern über 15 % auszeichnen. Der Dienstleistungssektor dominiert erwartungsgemäß in den Zentren Essen und Dortmund (1999 je etwa 78 %; zum Vergleich: Köln, Düsseldorf je ca. 82 Prozent und Münster 83 %), das Schlusslicht bildet der Ennepe-Ruhr-Kreis mit knapp 60 %.

Die Teilregionen differenzieren sich im Zuge des Abbaus der Montanindustrie immer weiter aus. "Dies bedeutet keineswegs, dass wir eine Desintegration des Ruhrgebietes konstatieren müssten. Im Gegenteil: Die differenzierte Wirtschaftsstruktur schafft Möglichkeiten einer neuen, stärkeren Integration durch Verkettung. Das wiederum bietet größere Innovationspotenziale und mehr Wachstumschancen. Diese können allerdings nur sinnvoll genutzt werden, wenn das Ruhrgebiet wirtschaftspolitisch stärker integriert handelt" (Lehner 2002, S. 30).
Anteil der Beschäftigten im Dienstleistungssektor an allen Beschäftigten 1997
Quelle: RVR-Datenbank