Chemische Industrie als Verbundpartner

"Um die Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckte man die Nutzbarkeit einiger der Inhaltsstoffe der Nebenprodukte, etwa des Benzols, Teers und Ammoniaks" (KVR 2000, S. 4), die bei der Verkokung anfallen. Die Nebenprodukte wurden von den nun entstehenden Chemieunternehmen als Synthesestoffe genutzt. Mitunter stellten sie die Vorprodukte selber aus Kohle her. "Beispielsweise vergaste man Kohle in Generatoren, in denen bei unvollständiger Verbrennung der Kohle Gas entsteht. In Anlagen zur Kohlehydrierung lagerte man Wasserstoff an bestimmte Moleküle von Kohle-Bestandteilen an, um flüssige Kohlenwasserstoffe zu gewinnen. Teer konnte durch Schwelung unter Luftabschluss bei einer Tieftemperaturverkokung (500 - 600° C) gewonnen werden" (KVR 2000, S. 4).

Die Entwicklungen in der chemischen Industrie reichen aber weiter. Die gewonnenen Kohlewertstoffe werden in thermisch-chemischen Verfahren weiterverarbeitet. "Teer etwa wird ein wichtiges Handelsgut, da er für die Herstellung von Anilinfarben, Imprägniermitteln, später für Riechstoffe, Pharmaka oder Desinfektionsmittel benötigt wird. Ammoniak verwendet man zur Produktion von Stickstoff, der als Bestandteil künstlicher Düngemittel die Versorgung der in der Hochphase der Industrialisierung rasch steigenden Bevölkerung sicherte" (KVR 2000, S. 5).

In den Jahren zwischen der Jahrhundertwende und dem Ersten Weltkrieg kommt es zu ersten Gemeinschaftsprojekten von Montan- und chemischer Industrie. 1912 wird mit dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Kohleforschung in Mülheim das heutige Max-Planck-Institut gegründet. Man unternimmt zahlreiche Anstrengungen, um im Bereich der Kohleforschung größere Fortschritte zu erzielen. So gelang es bald aus Kohle Treibstoff zu gewinnen. Die beiden Weltkriege gaben dann die wesentlichen Impulse, das an Rohstoffen arme Deutschland unabhängiger von ausländischen Importen zu machen.
Hydrierwerk
Quelle: RVR-Fotoarchiv
Vor allem die Nationalsozialisten bescherten im Rahmen ihrer Autarkiepolitik der chemischen Industrie im Ruhrgebiet - anders als der Stahlindustrie - eine Hochphase (u.a. Chemische Werke Hüls). Deutschland sollte mit synthetischen Stoffen auf Kohlebasis vor allem in den Bereichen Treib- und Schmierstoffe, Textilfasern und Kautschuk sowie Ersatzstoffen für Metall (d.h. den ersten Kunststoffen) unabhängig gemacht werden.
Gerade die Werke zur Kohleverflüssigung und die industrielle Infrastruktur waren Ziele der alliierten Bombenangriffe. So lag die Produktion der chemischen Industrie am Ende des Zweiten Weltkrieges am Boden. Doch auch diesem Industriezweig sollte die Wirtschaftsförderung durch den Marshallplan eine baldige Genesung bringen.
Chemiepark Marl
Quelle: RVR-Fotoarchiv
Die in der jungen Bundesrepublik wieder aufstrebenden Chemieunternehmen passten sich den neuen Märkten an und eroberten Positionen in neuen Sparten der Chemie, darunter die besonders wichtigen Kunststoffe, Kunstfasern und Duroplaste. Viele hier ansässige Chemieunternehmen haben sich zu Marktführern in sehr spezialisierten Bereichen entwickelt. Jedoch werden neben High-Tech-Produkten auch weiterhin noch Grundstoffe für Betriebe in anderen Regionen und Ländern hergestellt. Die internationale Verflechtung der chemischen Industrie ist hoch entwickelt.
"Allerdings fußt die Chemie im Ruhrgebiet schon lange nicht mehr auf der heimischen Steinkohle. Mit der Energiekrise, dem Abbau der Steuervorteile für inländische Energieträger und Treibstoffe in den 60er Jahren und in Folge der internationalen Preisentwicklung stellten sich alle Betriebe auf Mineralöl als Basis um" (KVR 2000, S. 9). Dabei sind die in der Petrochemie angewandten Verfahren im Grunde Prozesstechniken der Kohlechemie.

Eindrucksvolle Zeugnisse dieses Wirtschaftszweiges kann man auf einer der vielen Routen der Industriekultur "erfahren" (s. Thema "Industriekultur"). Die Tour 18 "Großchemie und Energie" führt entlang der wichtigsten Stationen der chemischen Industrie im Ruhrgebiet.